Venedig – ein bisschen Geschichte

 

von Anja Weinberger

Venedig – wem entweicht beim Gedanken an die Serenissima kein Seufzer. Sei es aus purer Sehnsucht, aus Sorge um den Erhalt der empfindlichen Bausubstanz oder beim Gedanken an die Millionen Touristen, die von der Stadt im Nordosten Italiens empfangen werden (müssen).

Wer noch nie in Venedig war, der möchte gerne hin. Und wer sich schon einmal mit Auto, Zug, Flugzeug oder Wassertaxi auf den Weg gemacht hatte, um die Serenissima zu besuchen, der freut sich vom Moment seiner Abreise an auf eine Wiederkehr. Das ist Venedigs Problem – jeder möchte die Schönheit sehen. Denn obwohl der Industriemoloch Marghera/Mestre bedrohlich näher rückt, bleibt Venedig die Stadt des Geheimnisvollen, des Märchenhaften, ja der Sehnsucht schlechthin.
Dreimal Venedig, © pixabay

 

25. März 421 – das legendäre Datum – und ein Brief aus dem Jahr 523

Wie kam es zu der Idee, in diesem unwegsamen Gelände zu siedeln? Ohne den Germanen-Einfall in den Bereich des römischen Imperiums und dem damit verbundene Ende der Pax Romana wäre Venedig vermutlich nicht entstanden. Die Inseln in der oberitalienischen Lagune wurden zur Rückzugsstätte der flüchtenden Landbevölkerung. Wie es zur Überlieferung dieses ja sehr genauen Datums kam, lässt sich nicht nachverfolgen.

Erstmals schriftlich erwähnt wird die neue Stadt in einem Brief Cassidors, der Ratgeber Theoderichs des Großen gewesen ist. Aus diesem Brief von 523 geht auch hervor, dass die Neusiedler sich sehr geschickt der Umgebung angepasst hatten und schon damals als gute Seefahrer angesehen waren.

 

Die Frühzeit

Das heutige zusammenhängende Gebiet des Centro storico Venedigs besteht aus über hundert Inseln. Das sieht man dem Stadtbild noch heute an. Denn da eine Kirche meist zu den ersten Gebäuden bei einer Neubesiedlung gehörte, findet man nirgendwo sonst so viele Plätze, die eben einmal der Markt- und Kirchplatz einer Insel waren, wie hier in Venedig.

Schnell hatten die Siedler entdeckt, dass unter der Schlammschicht ein fester Boden zu finden war. In diesen rammten die Handwerker und Bauherren Abertausende von Holzpfählen, auf denen eine immer gleiche Konstruktion aus Lärchenbohlen und Backsteinen errichtet wurde. Erst auf diesem festen Untergrund erhoben sich schließlich die Grundmauern der neuen Gebäude.

Ein kleiner Einschub:Die Lagune Venedigs bildete sich durch Ablagerungen mehrerer Flüsse und Bäche, die sich über eine Schicht aus Sand und Lehm des Pleistozäns legten. Der heutige Canal Grande ist ein verbliebener Arm des Flusses Brenta. Schaut man genau hin, so wird man dementsprechend bemerken, dass das Wasser des Canal Grande fließt – ganz im Gegensatz zu dem der anderen Kanäle Venedigs.
 

Drunter und drüber ging es in der Weltgeschichte während dieser frühen Jahre Venedigs. Theoderich der Große starb, unter dem oströmischen christlichen Kaiser Justitian I. gewann Byzanz großen Einfluss, das Exarchat Ravenna wurde quasi als Außenposten dieses oströmischen Reiches geschaffen, die Langobarden eroberten so manchen Teil Italiens, die Franken vertrieben die Langobarden. Erst im Verlauf des 7. Jahrhunderts begann  sich Venedig aus den diversen Abhängigkeiten zu lösen.

Noch ein kleiner Einschub: Hier muss das Stichwort „Pippinische Schenkung“ fallen. Pippin III., Sohn Karl Martells und zukünftiger Vater Karls des Großen, also ein Franke, war auf nicht ganz durchsichtigem Weg Herrscher des ganzen Frankenlandes geworden. Er hatte als Hausmeier der merowingischen Könige viel Macht, aber eben nicht den Königstitel. Der damalige Papst Zaccharias bestimmt dann aber 751 mit den ungefähren Worten „Wer die Macht hat, der soll auch König sein“ Pippin III. zum ersten fränkisch-karolingischen König. Dem amtierenden Merowinger-König Childerich III. wurde als Zeichen seiner Entmachtung das lange Haupthaar geschoren, und er trat ins Kloster Sithiu ein, der späteren Abbaye Saint-Bertin.

Pippin eroberte 756 auf Umwegen mehrere italienische Küstenstädte, das Exarchat Ravenna und den Verwaltungsbezirk Rom von den Langobarden zurück. Dieses Land machte er, so sagt man, dem Papst zum Geschenk, wobei von dieser Schenkung leider keine Urkunde erhalten ist.

Auf dieser also schriftlich in keiner Form festgehaltenen Gabe basiert der heutige Kirchenstaat, der Vatikan.

Im Spannungsfeld zwischen Byzanz und Karl dem Großen konnte der 812 geschlossene Frieden von Aachen für Venedig endlich klare Strukturen schaffen. Ein „Dux von Venetien“ wurde eingesetzt, der als Vertreter des weit entfernten Byzanz galt, zu dem die Stadt laut Friedensvertrag nun gehörte. Jener Dux oder später Doge residierte ab 810 auf dem Rialto in der Nähe des heutigen Dogenpalastes, nachdem sein Sitz zuvor nacheinander in Oderzo, Heracleia und Malamocco angesiedelt war. Unter diesen ungewöhnlichen Voraussetzungen konnte nun die ebenso ungewöhnliche Geschichte Venedigs weitergehen.
Der Dogenpalast, Übersicht und Detail, © pixabay

 

Eine Großmacht entsteht

Eine eifrige Bautätigkeit entwickelte sich unter den ersten Dogen. Brücken entstanden, aber auch der erste Dogenpalast und frühe Handelshäuser um den Rialto. Schon begann sich auch das kompliziert Rechts- und Verfassungssystem Venedigs abzuzeichnen, denn mehrere Familien waren erfolgreich im Kampf gegen eine erbliche Herrschaftswürde. Kein Vergleich jedoch zum heutigen Stadtbild: Außer den Kirchen wurden alle Gebäude aus Holz errichtet und zwischen den Häusern großflächige Gemüsegärten angelegt.

Durch seine ungewöhnliche Stellung zwischen Ost und West war Venedig prädestiniert für den Brückenschlag zwischen diesen beiden Welten. Der Handel begann! Luxusgüter, aber auch Alltagswaren wurden umgeschlagen. Venedig sah alles – vom Öl aus Istrien, über Pelze aus Russland bis hin zu Seidenstoffen und edlen Gewürzen.

Kirchenbau und Kirchengeschichte beim Leiermann – ein Blog

Markus, der Stadtpatron

Eine unglaubliche Geschichte ist da zu erzählen. Man stellte nämlich fest, dass der unterdessen stark angewachsenen Stadt ein eigener Heiliger gut zu Gesicht stehen würde. Um das zu verstehen, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich in die mittelalterliche Denkweise hineinzuversetzen. Das damalige Selbstverständnis war eng verknüpft mit der christlichen Symbolik. Und dem gewachsenen Selbstbewusstsein der Serenissima fehlte ein spirituelles Symbol, das eben dieses nach außen trug. Da nach der Passion Jesu viele Jünger und andere Christenprediger in Nordafrika wirkten, sah man sich dort um. Von Markus, dem Autor des vermutlich ältesten Evangeliums, erzählte man sich außerdem, dass er einige Zeit in Aquileia verbracht hatte, nicht weit entfernt von Venedig. Beides zusammen konnte nur eines bedeuten: er, vielmehr seine Überreste, mussten aufgetrieben werden.

Fündig wurde man im ägyptischen Alexandria, fackelte nicht lange und stahl die Reliqien aus ihrem Sarkophag. Unter Schweinespeck verborgen, den Mohammedaner aus Glaubensgründen nicht berühren durften, schmuggelten die raffinierten Venezianer das Diebesgut bis zum Hafen und auf das wartende Schiff. Der Rest ist Geschichte. Venedig ist die Stadt des heiligen Markus, nicht Alexandria.

Ein Ausschnitt der Front von Sankt Markus, © pixabay

 

Unbeschadet kam das Diebesgut 828 in Venedig an und man brachte es zum Amtssitz des Dogen, erstaunlicherweise nicht zur Bischofskirche, die sich in diesen Jahren auf der Insel Olivolo (heute das Sestière Castello) befand. Die nun endlich vorhandene Reliquie sollte also von Anfang an auch das Dogenamt als solches hervorheben. Kurz nach der „Ankunft“ des Evangelisten Markus in der Lagunenstadt begann man mit dem Bau einer ersten Markuskirche, die bis in unsere Zeit zweimal erneuert wurde. Diese Vermischung von Weltlichem und Kirchlichem sorgte im päpstlichen Rom immer wieder für Sorgenfalten.

Fortan war in Venedig San Marco die Hauptkirche der Stadt, der Bischofssitz auf Olivolo fristete ein armseliges Dasein.

Da ein Löwe das Attribut des Evangelisten Markus ist, hat sich dieser Markuslöwe als Wappentier der Republik und Stadt Venedig etabliert.

 

Die Schwierigkeiten, die sich im restlichen Europa aus den dynastischen Erbfolgen ergaben, überzeugten die Venezianer endgültig von der Idee des Wahl-Dogenamtes. In den Folgejahren versuchten trotzdem mehrere Dogen dynastische Politik zu betreiben, mussten das jedoch immer mit dem Tod bezahlen. Die junge Republik wehrte sich.

Wogegen man sich ebenfalls zu wehren vermochte, waren die Piratenangriffe durch Slawen in der Adria, die den venezianischen Handel nicht unwesentlich beeinträchtigten. Das mit Sorge erwarteten Jahr 1000, in dem man den Weltuntergang befürchtete, kam dem amtierenden Dogen Pietro II. Orseolo gerade recht. Es gelang ihm, sich das Geplänkel der Ost- und Weströmischen Kaiser zu Nutze zu machen und erste Bausteine für ein adriatisches Seereich zwischen diesen beiden Mächten anzulegen, indem er die Städte Zadar, Trogir und Split im heutigen Kroatien eroberte. Der Titel Dux Dalmatiae wurde ihm verliehen und er führte die neue Tradition der Vermählung des Dogen mit dem Meer ein. Das Jahr 1000 hatte sich in dieser Beziehung vom Sorgenkind zum Musterknaben gemausert.

 

Ein kleiner Einschub: Am 9. Mai 1000 besiegte der Doge die dalmatinische Piraterei. Seitdem wird alljährlich an Himmelfahrt die mystische Vermählung des Dogen mit dem Meer gefeiert. Der Doge fuhr jenseits des Lido aufs offene Meer und warf einen goldenen Ring in die Fluten. Sehr symbolträchtig, doch anscheinend teilweise wirkungsvoll. Die Slawen fühlten sich gewarnt; von Überschwemmungen konnte die Geste Venedig jedoch bis heute nicht befreien. In Venedig wird an diesem Tage gefeiert: die Festa della Sènsa (das venezianische Wort für Ascesione/Himmelfahrt).

Ab 1311 fuhr der Doge mit dem Prunkschiff Bucintoro, der ersten Staatsgalere, das in der unterdessen entstandenen Schiffswerft, dem Arsenal, gebaut worden war.

Des Dogen Feldzug machte auch deutlich, dass sich der Blick der Republik Venedig unterdessen geschärft hatte, und man nicht nur mehr über die eigene Sicherheit auf den Inseln nachdachte, sondern längst auch über Möglichkeiten der Expansion. Dieses Selbstbewußtsein blieb nicht unbemerkt, und so rief Byzanz Venedig zur Hilfe, um die Normannen in Schach zu halten, die nach der Invasion der Normandie und Englands nun Italien ins Auge gefasst hatten. Die venezianischen Truppen waren erfolgreich und als Folge dessen gewährte der Ostkaiser Venedig Abgabefreiheit – ein weiterer wertvoller Baustein auf dem Weg zur Handels- und Kolonialmacht.

Das Arsenal entsteht

Die ganze Stadt Venedig war eine ständige Baustelle. Bis ins 12. Jahrhundert hinein baute man hauptsächlich mit Holz, das aus Dalmatien und Istrien herantransportiert wurde. Die dortigen Landschaft verkarsteten dadurch übrigens mehr und mehr.

Ganz genau weiß man nicht, woher der Name der venezianischen Schiffswerft, dem Arsenal, stammt. Vermutet wird jedoch, dass er sich von einem arabischen Wort für „Werkstatt“ oder „Arbeitsplatz“ ableitet. Gut möglich, denn bestimmt war nirgends das Sprachgewirr so bunt, wie im Venedig dieser Zeit. 1104 wurde das Arsenal also auf zwei morastigen Inseln im Osten der Stadt gegründet und im Laufe der Jahrhunderte mehrmals erweitert. Die hier in großer Zahl erbauten Schiffe wurden eingesetzt, um Handelskonvois zu begleiten und um sich der Konkurrenz zu erwehren, die aus Genua und Pisa drohte.

Diese beiden Städte hatten sich beim Ersten Kreuzzug durch die Ausrüstung von Schiffen und der Anlage von Stützpunkten im Heiligen Land einen deutlichen Wettbewerbsvorteil verschaffen können.

 

 

Ponte dell‘ Arsenale, © pixabay

 

Der Erste Kreuzzug hatte als Hauptursache die Bedrohung des christlichen Byzantinischen Reiches durch die türkische, also nicht-christliche Dynastie der Seldschuken. Außerdem sollte Palästina wieder eingenommen werden, das die Araber im 7. Jahrhundert dem oströmischen Reich entzogen hatten. Der Kreuzzug wurde 1096 als Pilgerfahrt von bewaffneten Laien und mehreren Ritterheeren aus Italien, Deutschland und Frankreich in Gang gesetzt.
Eine unübersichtliche Gemengelage lag wieder einmal vor, entstanden durch das ebenfalls unübersichtliche politische Agieren der vielen europäischen Kräfte. Viele Einschübe wären möglich, hier aber die verkürzte Version:

Die unterdessen salischen Kaiser und das Papsttum konnten sich nicht einigen über das Recht der Einsetzung von Bischöfen und Äbten. (Venedig unterstützte den Kaiser und machte sich Rom dadurch nicht unbedingt zum Freund.)

Die östliche und westliche Kirchenführung konnte sich immer wenig auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen, die Unterschiede überwogen mehr und mehr. Das Morgenländische Schisma, also die Trennung der katholischen Kirche samt des Papstes von der orthodoxen Kirche in Byzanz, war die sich seit mehreren Jahrhunderten anbahnende Folge. (Obwohl sich im christlichen Alltag nichts änderte und das Volk die Spaltung zunächst kaum wahrnahm, lag Venedig schon rein geografisch betrachtet im Bereich der Westkirche; die byzantinischen Bindungen wurden dadurch nicht einfacher.)

Auch der Stauferkaiser Friedrich Barbarossa machte die Lage nicht übersichtlicher, als er sich in die Italienische Politik einmischte. Viele oberitalienischen Städte, auch Venedig,  verbündeten sich gegen ihn in der Lega Lombarda und sogar mit den Normannen weiter südlich. (Venedig versuchte, so neutral wie möglich zu bleiben. Tatsächlich gelang der Serenissima ein diplomatischer Geniestreich, als im Frieden von Venedig 1177 eine Befriedung der Streithähne erlangt wurde.)

Die beim Ersten Kreuzzug entstandenen Kreuzfahrerstaaten sorgten ihrerseits für Unruhe. Auch die folgenden Kreuzzüge richteten sich natürlich hauptsächlich gegen die muslimischen Nachbarstaaten im Nahen Osten. Jedoch nahmen sie auch „zuhause“ viel Platz in der Politik ein.

Im westlichen Kaiserreich sorgte einerseits der Streit um den Thron zwischen Staufern und Welfen (ab 1198) für momentane Agonie, und andererseits waren Engländer und Franzosen mit eigenen Konflikten beschäftigt.

Da musste nun nur noch der Doge Enrico Dandolo am Horizont der Weltgeschichte auftauchen, und schon konnte ein neues Kapitel in der Geschichte Venedigs aufgeschlagen werden. Man entledigte sich endgültig einer fremden Vormacht.

 

Die Eroberung Konstantinopels

Während Venedig sich im Laufe der Jahre als Weltstadt etablierte, ging es in der Beziehung zwischen Venedig und Konstantinopel (einst Byzantion, heute Istanbul) auf und ab.

Venedig, Quadriga, © pixabay

 

Den Vierten Kreuzzug (1201-1204) nutzte der Doge Enrico Dandolo zur Eroberung der Metropole am Bosporus. Durch die Plünderung der besiegten Stadt kamen viele Kunstschätze nach Venedig, die auch heute noch das Bild der Serenissima prägen, so beispielsweise die bronzene Quadriga über dem Eingang des Markusdomes.
Ein kaum vorstellbares Gemetzel muss das gewesen sein und am Ende war das Byzantinische Reich nur noch ein matter Abglanz seiner alten Stärke. Die Serenissima hingegen hatte sich neue Ländereinen von der Peloponnes über Kreta bis nach Rhodos gesichert. Eine Großmacht war man sowieso schon, jetzt hatte man sich zur Weltmacht gemausert.

Endlich frei?

So einfach war das alles nicht. Zwar hatte man sich aus der von Byzanz überstülpten Verwaltung befreit, musste sich jedoch nun mit innerpolitischen Problemen herumschlagen, denn die kaufmännische Führungsschicht verlangte vehement nach Rechten. Die beispiellos kleinteilige und äußerst komplizierte venezianische Verfassung entstand nun nach und nach.

Der Kleine Rat, der Große Rat, die Volksversammlung, der Senatsausschuß, der Zehnerrat und der Ministerrat formten sich mit der Zeit. Die Verteilungen auf viele Schultern sollte eine zu große Macht der Einzelnen verhindern. Was entstand, war keine Demokratie im heutigen Sinne, sondern eine oligarchische Struktur, eben eine Adelsrepublik. Die Macht oder Ohnmacht des Dogen zeigt sich gut in Petrarcas Resüme: „Den Dogen […] sein gesagt, sie mögen sich darüber im Klaren sein, daß Dogen keine Herren, geschweige denn Herzöge, sondern lediglich mit Ehren ausgestattete Sklaven der Republik sind.“ Man kann sich vorstellen, dass ein solches Staatsgefüge nicht immer rund läuft, und zu den kleineren Steinchen im Getrieb der Serenissima kam ab 1348 der große Bremsklotz „Pest“ aus dem Orient ins Land.

Der Rivale Genua

Selbstverständlich wurde die Handelsmacht Venedig genau beobachtet, und es wäre ja äußerst erstaunlich gewesen, hätte es nicht Mitbewerber um die finanziellen Einkünfte gegeben, die beim Handel in der Levante, also dem Morgenland, gemacht werden konnten. Und so kam es, wie es kommen musste.

Genua hatte sich im Machtkampf mit Pisa als Sieger erwiesen und suchte nun nach neuen Sparringspartnern. Was lag da näher als Venedig? Ab 1261 gab es keine Ruhe zwischen den Kontrahenten, und am Ende war Genua geschlagen, aber Venedig auch zermürbt und geschwächt. Auf neutralem Boden setzte man sich 1381 endlich gemeinsam an einen Tisch und schloss den Kompromissfrieden von Turin.

Trotz aller Kämpfe wurde in der Stadt gebaut. Der Dogenpalast erhielt ab 1340 seinen Südflügel, der um 1400 fertiggestellt wurde. Santa Maria Gloriosa dei Frari, die Franziskanerkirche, beginnt ebenfalls ab 1340 ihren schmucklosen Ziegelbau gemäß dem Armutsideal des Ordens in die Höhe zu recken. Und Santi Giovanni e Paolo, die Kirche der Dominikaner, heute der größte Sakralbau Venedigs, zeigt noch deutlicher, dass das Zeitalter der Gotik angebrochen ist. Auch am Canal Grande sind bereits zahlreiche prächtige Paläste zu bewundern.

Ein Grund für den wachsenden Wohlstand und den relativen Frieden lag in der gewählten Staatsform. Viele andere Städte Italiens rieben sich in ständigen Geschlechterkämpfen oder Parteifehden auf. Venedig hingegen konnte in einer zwar nicht demokratischen, aber stabilen, von langen Amtszeiten der Dogen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts geprägten Autokratie seinen Weg zur größten Territorialmacht Oberitaliens fortsetzen.

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Und dann Mailand

Zu klären war da nur noch das Verhältnis zwischen der Serenissima und dem Mailand der Visconti. Diese Dynastie war alleinherrschend in ihrer Stadt, hatte aber auch viele Städte zwischen Verona und Siena eingenommen. Und die Visconti hatten größere Pläne.

Natürlich war da Ärger vorprogrammiert. Denn Venedig war angewiesen auf die eine oder andere Handelsroute an Land. Und eine Schwäche hatten sie bald erkannt: Zwar waren sie eine glanzvolle, unschlagbare Seemacht, hatten zu Lande aber wenig Erfahrung im Kampf. Also musste man sich notgedrungen nach Söldnerführern umsehen, die für eine fürstliche Bezahlung den Glanz der Serenissima auf dem Festland vertraten.

Hin und her ging es, mal kämpfte man um diese Stadt, mal um jene. Erst mit einem neuen Namen in Mailand, Francesco Sforza, der eine Visconti-Tochter heiratete, war 1454 ein Friedensschluss zwischen den beiden Streithähnen möglich. Der Friede von Lodi sorgte eine Zeit lang für ein zwar fragiles, aber doch vorhandenes Gleichgewicht der Kräfte.

 

Ein Einschub: „Condottiere“ nannte man diese geharnischten, für Geld und Ehre kämpfenden Ritter. In Venedig entschied man sich zunächst für Francesco Bussone, gen. Carmagnola, der Brescia und Cremona nach Venedig holte. Möglicherweise war er aber eine Art Doppelagent, sicher war man sich nicht. Also wurde beschlossen, sich 1432 „von ihm zu trennen“.  Auf der Piazzetta am Dogenpalast wurde er hingerichtet. Es folgte Erasmo da Narni, gen. Gattamelata, der Cremona und Ravenna an Venedig band.

Der dritte und vermutlich berühmteste der Condottieri Venedigs war Bartolomeo Colleoni aus Bergamo, der ab 1455 Dienst in Venedig versah. Er fühlte sich durch den Frieden von Lodi behindert in der Ausübung seines „Berufes“, denn die Serenissima hatte ihn hauptsächlich zur Besitzsicherung eingestellt – für einen Condottiere eine langweilige Sache. Warum ausgerechnet sein Standbild an so prominenter Stelle in Venedig vor der Scuola di San Marco und der gotischen Kirche SS. Giovanni e Paolo aufgestellt wurde, dort wo auch das traditionsreiche, erstklassige „Rosa Salva“ seine Tische hinaus stellt, das ist eine eigene Geschichte.

Das Goldene Zeitalter der Serenissima

Kultur, Wirtschaft, Politik – im 15. Jahrhundert war Venedig überall Weltklasse. Längst verdiente man sein täglich Brot nicht mehr nur durch den Handel mit fern und nah. Die Venezianer stellten auch selbst her: Die Buchdruckerei hatte Einzug gehalten, Färbereien und Seidenwebereien fabrizierten Erstklassiges, die Glasbläserei auf Murano lockte Käufer aus aller Welt und viele Klein- und Kleinstbetriebe produzierten Mosaike, Kerzen, Süßgebäck und natürlich Dinge des täglichen Bedarfs.

Schaut man sich um in Venedig, so wird man feststellen, dass es keine romanischen Bauten gibt. Diese Besonderheit der Stadt erklärt sich durch das lange Festhalten am byzantinischen Stil. Erst die Gotik mischt ihre Formensprache in Venedigs Silouhette. Und unterdessen wurde nicht mehr mit Holz gebaut, das Stadtbild prunkte in Ziegel und Marmor.

Aber das Goldene Zeitalter der Serenissima …

 … währte nicht lang

Leider war aus dem ferneren Osten wieder Kampfgetümmel wahrzunehmen. 1453 nahm Sultan Mechmed II. Konstantinopel ein. Die oströmische Kaiserstadt war nun also Hauptstadt des osmanischen Reiches. Das stellte aber nur den Anfang des Türkenvormarsches dar, denn 1517 wurde auch Ägypten unterworfen. So verlor Venedig seinen wichtigsten und treusten Handelspartner und alte, bewährte Handelsrouten konnten nicht mehr benutzt werden.

1492 entdeckte Columbus Amerika, 1498 Vasco da Gama die Seeroute nach Indien. Beide waren leider keine Venezianer. Ihre Entdeckungen veränderten alles und das Imperium Venedig geriet ins Schwanken. Kaum zu glauben, dass es noch schlimmer kommen konnte. Aber doch.

1508 bildete sich nämlich die Liga von Combrai, in der der Kaiser, Frankreichs König, der Papst, die Könige von Ungarn, Aragon, England und die Herzöge von Ferrara, Mantua und Savoyen an einem Strang zogen. Venedig wurde von allen Seiten bedrängt. Nur dem äußerst geschickten Manövrieren des Dogen Leonardo Loredan war es zu Verdanken, dass es im Inneren der Liga knirschte und Venedig mit einem tiefblauen Auge davon kam.

Lepanto – noch einmal Spitzenklasse

Der Seeschlacht von Lepanto gingen weitere Eroberungen der Türken im Osten voraus. Als schließlich Zypern an der Reihe war, fand man  im Westen, das gehe zu weit. Wieder einmal wird also eine Heilige Liga geschlossen, zu der der Papst, Spanien, Genua, die Malteserritter und natürlich Venedig gehörten. Und so begann am Morgen des 7. Oktober 1571 vor dem Golf von Patras im heutigen Griechenland die Seeschlacht von Lepanto unter dem Oberbefehl des Don Juan de Austria. Nach knappen sechs Stunden Kampfgemetzel war alles vorbei, noch nie waren an einem Tag so viele Gefallene zu betrauern gewesen. Aber die Heilige Liga der christlichen Mittelmeermächte ging als Sieger aus der Schlacht hervor. Die osmanische Mittelmeerflotte hatte ihren Schrecken verloren – allerdings zu einem hohen Preis.

Unzählige Kunstwerke sind in Folge dieser Schlacht entstanden. Hier nur eine Auswahl.

Der Venezianer Paolo Veronese schuf das wohl bekannteste Bild der Schlacht, das wir heute in der Galleria dell’Academia seiner Heimatstadt bewundern können. Im Escorial finden wir ein großformatiges Gemälde von Luca Cambiaso und von El Greco eine Allegorie auf die Heilige Liga. Und auch Tizian beschäftigte sich mit dem Thema in Form einer Allegorie, die heute im Prado in Madrid zu sehen ist. Im Apostolischen Palast im Vatikan hat Giorgio Vasari ein Fresco zum Thema erstellt, und in unserer Zeit malte Cy Twombly einen Zyklus von zwölf Bildern, die im Münchner Museum Brandhorst ausgestellt sind.

Miguel de Cervantes hat als Marineinfanterist an der Schlacht teilgenommen und dabei mehrere schwere Verletzungen davon getragen, u.a. eine gelähmte, entstellte Hand. Seine Erlebnisse sind in seinen Roman Don Quijote eingeflossen.

Der Sieg bei Lepanto wird bis heute gefeiert, in der katholischen Kirche mit dem Rosenkranzfest, das seit 1572 am Jahrestag der Schlacht begangen wird.

Einmal Kaufmann, immer Kaufmann

Auch im Inneren der Serenissima brodelte es gegen Ende des 15. Jahrhunderts gewaltig. Die Schere zwischen arm und reich ging immer weiter auf, nach außen gab sich der Staat karitativ, jedoch entledigte man sich übertrieben sozialer Parteigenossen schon einmal durch die Verbannung. Die Korruption nahm immer mehr überhand.

Unnötiger Luxus und Prunk beim Empfang hoher Gäste diente nicht der Entspannung im Inneren.

Neben der Pest geißelte auch die Syphilis die Lagunenstadt. Viele der reicheren Familien verließen Venedig Richtung Festland. Nun entstanden nicht nur am Canal Grande Renaissancepaläste, sondern auch auf der Terra ferma.

Auch eines der einträglichsten Geschäfte Venedigs schwächelte – die Schiffsbauerei. Durch wieder erstarkte Piraterie in der Adria verlor die Flotte viele Schiffe, wodurch die Versicherungsprämien ins Unermessliche stiegen. Das Arsenal ging in Kurzarbeit.

Es gäbe noch mehr zu erzählen. Jedoch genügt das Fazit, dass die einstige „Königin der Meere“ zu einem fahlen Abziehbild ihrer selbst wurde.

Casanova und der Karneval

Die Serenissima wurde zum Spielplatz der Gaukler, der Wichtigtuer und der Spitzbuben. Casanova und der Karneval wurden zu wichtigen Einnahmequellen, und auch Venedigs Kunstschätze lockten Bildungsreisende in großer Zahl. Denn nicht nur in der Vergangenheit wurde hier Großartiges geschaffen. Das 18. Jahrhundert gebar Künstler wie Tiepolo, Guardi, Canaletto in der Malerei, die Komponisten Cavalli und Lotti und die Dichter Goldoni und Gozzi.

21. Jahrhundert, Karneval in Venedig, © pixabay

 

Und dann kam Napoleon

Ludovico Manin, der letzte Doge, dankte ab, der Große Rat beschloss seine Auflösung, die Republik verschwand quasi im Dunst der Lagune. Denn als am 15. Mai 1797 Napoleon bei seinem Italienfeldzug auftauchte, wurde ihm kaum Widerstand geboten. Am 16. Mai standen dann zum ersten Mal fremde Truppen auf dem Platz vor dem Markusdom. Aus der Traum.

1866 dann kam Venedig zum Königreich Italien, und Vittorio Emanuele II. hielt am 7. November Einzug in der einstigen „Königin der Meere“, die seitdem eine von vielen schönen italienischen Städten ist.

Und heute?

Venedig lebt nach alten Gesetzen, denn schon immer war der Austausch, der Handel die Lebensader der Serenissima. Heute bedeutet das Touristenströme und Kreuzfahrschiffe.

Die Industriehäfen in Mestre und Marghera sind ebenfalls Früchte des eigenen, frühen Aufschwungs, denn als der Platz knapp wurde, wich man eben auf das Festland aus.

Hochwasser in Venedig, © pixabay

 

Hochwasser gibt es schon, so lange Venedig existiert, aber es erscheint immer häufiger.

Schon die freie Republik Venedig hat versucht, sich gegen das Hochwasser zu rüsten. Zwischen 1744 und 1782 baute man einen gigantischen Damm aus istrischen Granitblöcken vor das Lido.

Ende des 20. Jahrhunderts dann folgte das System „Mose“, das die Durchflüsse zur Lagune bei drohendem Hochwasser abriegeln können soll.

Augenblicklich kämpft Venedig um seine Identität. Immer mehr Einheimische können sich die hohen Lebenshaltungskosten nicht mehr leisten.

Aber leer ist Venedig deshalb nicht – jeder möchte es schließlich einmal besuchen.

(Text von 2023)

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