São João in Porto – Es war mir ein Volksfest!
von Maria Pussig
Jahr für Jahr verfällt die ohnehin schon geschäftige Innenstadt Portos in einen Ausnahmezustand, der sich nur durch ein Phänomen erklären lässt: São João steht vor der Tür.
Dieses Volksfest findet jährlich in der Nacht von 23. auf 24. Juni statt und zeichnet sich durch ebenso faszinierende wie auch komische Bräuche aus, die es zu einem Erlebnis machen, dem man auch als „Nicht-Tripeiro“ [1] einmal im Leben beigewohnt haben sollte. Bevor hier jedoch ein typisches São João der Gegenwart skizziert werden soll, wollen wir wie immer zuerst einen Blick auf die historischen Kulissen der Szenerie werfen.
Vom längsten Tag zur längsten Nacht
Eine der häufigsten Fehlinformationen bezüglich der geschichtlichen Hintergründe des Volksfestes besteht darin, dass die Feierlichkeiten zu Ehren des Schutzpatrons der Stadt stattfänden. Doch nur ein absoluter São-João-Neuling könnte auf diese Idee kommen, denn wer sich ein wenig mit der Materie beschäftigt, wird schnell feststellen, dass Porto im Laufe der Jahre bereits über verschiedene Schutzheilige verfügt hat. Der heilige Johannes, also São João, war aber nie einer davon gewesen. Vom zwölften bis zum sechzehnten Jahrhundert war es São Vicente gewesen, der kurioserweise seinerzeit und heute auch über Lissabon wacht. Ob dieser Doppelbelastung oder in Anbetracht anderer Gründe, löste später São Pantaleão den heiligen Vincent ab und zog Pilgerinnen und Pilger aus nah und fern an. 1984 kehrte man den männlichen Schutzpatronen dann endgültig den Rücken und seither wacht Nossa Senhora da Vandoma über die Stadt, die auch das Wappen Portos schmückt.
Die Feierlichkeiten zu Ehren von São João gehen eigentlich auf noch fernere Tage zurück. Denn sie haben ihren Ursprung in der heidnischen Tradition der Sommersonnenwende, die in Verbindung mit Fruchtbarkeit, Ernteerfolge und Überfluss steht und eigentlich mit dem längsten Tag des Jahres am 21. Juni gefeiert wird. Wie viele andere heidnische Traditionen auch wurde der Festtag jedoch später christianisiert und mit dem Fest zu Ehren des Geburtstags Johannes des Täufers zusammengelegt. Dadurch wurde aus dem längsten Tag des Jahres die längste Festnacht Portos.
Heidnische Traditionen in christlichem Gewand
Doch trotz christlicher Einflüsse in den späteren Jahrhunderten haben einige Traditionen heidnischen Ursprungs überdauert und wirken bis heute auf die Feierlichkeiten ein. Überbleibsel dieser heidnischen Bräuche sind beispielsweise der Glaube an die heilenden und mystischen Kräfte bestimmter Kräuter und anderer aromatischer Pflanzen. Zum Schutz vor bösen Blicken, Abwehr von Unglück und zum Erhalt von Fruchtbarkeit und Ernteerfolg wurden diese als Opfergaben verbrannt und sollten so die Götter gütig stimmen. In Zusammenhang mit den Feierlichkeiten von São João spielt vor allem Majoran eine wichtige Rolle, der besonders zwischen Liebenden seine positive Wirkung, d. h. Fruchtbarkeit, entfalten soll. Aus diesem Grund bieten traditionellerweise die jungen Männer Portos auch heute noch ihren Angebeteten kleine Sträußchen dieses duftenden Krautes an und versuchen so ihr Glück in der Liebe.
Ein weitaus weniger romantischer Versuch, das Interesse des oder der Angebeteten auf sich zu ziehen, entstammt dem 19. Jahrhundert, als auf den vielen verlassenen Flächen rund um Porto Lauch im Überfluss wuchs. Mit Beginn der Sommerhitze Ende Juni neigt dieser jedoch dazu auszutreiben, sodass er für den Verzehr unbrauchbar wird. Daher begannen die Menschen, das nun ungenießbare Gemüse in der Johannisnacht zu pflücken und machten sich einen Spaß daraus, allen, denen sie begegneten, damit auf den Kopf zu schlagen. Besonders unter jungen Leuten ist diese humorvolle Methode der Kontaktaufnahme auch heute noch beliebt, wenn auch ein Erfolg nicht immer garantiert werden kann.
Wem dieses Naturprodukt einen zu intensiven Geruch hinterlässt, kann seit einigen Jahren aber auch auf eine Alternative zurückgreifen. In den 1960er-Jahren entwarf der Industrielle Manuel Boaventura aus Porto einen kleinen quietschenden Spielzeughammer aus Plastik, um seine Produktionspalette an Spielwaren zu erweitern.
Im Mai desselben Jahres pünktlich zum studentischen Fest »Queima das Fitas« verteilte er eine Reihe dieser Hämmer an die lokalen Studentenverbindungen und hatte dort mit seinem Spaßutensil so viel Erfolg, dass die kleinen Hämmer daraufhin im Juni auch das Fest von São João im Sturm eroberten. Seither klopft man sich nicht nur neckisch mit frischem Lauch auf den Kopf, sondern auch mit kleinen quietschenden Spielzeughämmern.
Feuer und Flamme
Eine weitere Tradition in der Johannisnacht, die noch von den heidnischen Feierlichkeiten zur Sommersonnenwende verblieben ist, ist das Entfachen von Feuern und anderen Leuchtmitteln. Zu São João sind Portos Straßen von Johannisfeuern hell erleuchtet und sollen durch dreimaliges Durchspringen der Flammen ebenfalls vor allen Übeln und bösen Geistern schützen. In der christlichen Tradition werden die Feuer als Freudenfeuer gedeutet, welche ihren Ursprung in der Nacht der Geburt Johannes des Täufers haben. Der Sage nach habe die Mutter des Heiligen Johannes die ersten Feuer entfacht, um so die Geburt ihres Sohnes anzukündigen. Ergänzt werden diese Freudenfeuer heute außerdem durch Feuerwerke und kleine Heißluftballons. Erstere sollen dazu dienen, den Heiligen »auf-« bzw. »wiederzuerwecken«, letztere sollen auch die Menschen aus den umliegenden Regionen Portos auf den Beginn der Feierlichkeiten aufmerksam machen. Mittlerweile ist es zu einer regelrechten Wissenschaft geworden, wie, wo und wann man Feuer, Feuerwerke und Heißluftballons am besten anzündet, um einen möglichst eindrucksvollen Effekt zu erzielen.
Es wird noch heißer!
Als ginge es mit Feuern, Feuerwerken und Ballons nicht schon heiß genug her, stellt das traditionelle Gericht der Johannisfeier den krönenden Abschluss der zu São João temporär herrschenden Pyromanie dar. Denn nichts anderes als über Glut gegrillte Sardinen isst man in Porto am 23. Juni. Doch das war nicht immer so, denn ursprünglich war das typische Gericht dieser Nacht – wie an so vielen portugiesischen Feiertagen – gebratenes Lamm oder Zicklein mit Kartoffeln und Brot.
Da man jedoch nur einige Tage vor São João im Stadtteil Matosinhos die »Festa do Nosso Senhor de Matosinhos« feiert, zu dem traditionellerweise schon immer Sardinen gegessen wurden, brachte der Legende nach eines Tages ein Marktverkäufer die übrig gebliebenen Sardinen mit zu den Johannisfeierlichkeiten. Dieser etablierte so einen neuen kulinarischen Brauch, der Portos Straßen zu São João seither in einen unwiderstehlichen Duft einhüllt.
Eine Stadt im Ausnahmezustand
Wie fast alle Volksfeste religiösen Hintergrunds beschränkt sich der Geist der Feierlichkeiten in der Gegenwart längst nicht mehr nur auf diesen Aspekt. Auch in Porto fließt zu São João der Alkohol in rauen Mengen und so manche Musikbühne und Partyzone der Stadt könnte man getrost eher als unchristlich bezeichnen. Doch nichtsdestotrotz lohnt es sich, zumindest einmal einen kleinen Spaziergang über das Festgelände zu machen, oder das bunte Treiben von der Ferne beim Genuss der gegrillten Sardinen zu bestaunen. Denn das ohnehin schon so rastlose Porto erlebt man nur einmal im Jahr in einem solch extremen Ausnahmezustand – zu São João!
Kulturgeschichten aus Europa
ein Buch von Thomas Stiegler
Französische Kulturgeschichten –
ein Buch von Anja Weinberger
Verwendete Literatur und Quellenangaben
https://www.engenhariaradio.pt/2019/06/porque-se-celebra-no-porto-o-sao-joao/
[1] Als „Tripeiros“ bezeichnet man hierzulande die Einwohnerschaft Portos – warum das so ist, können Sie hier nachlesen