Römisches Erbe in Regensburg
von Christian Schaller
Römisches Erbe in Regensburg
von Christian Schaller
Die malerische Altstadt von Regensburg kündet bis heute vom mittelalterlichen Reichtum der damaligen Donaumetropole. Die Steinerne Brücke und die hohen Domtürme prägen das Stadtbild seit Jahrhunderten. Dabei wird oft übersehen, dass Regensburg bereits 1000 Jahre früher eine erste Blütezeit erlebte.
In der römischen Antike befand sich der Ort zwar an einer der Außengrenzen des Imperiums, dennoch mauserte er sich im zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus zu einer der bevölkerungsreichsten Siedlungen im gesamten Voralpenland und der Provinz Rätien, welche die Römer hier eingerichtet hatten. Mächtige Mauern schützten ein Legionslager, das stets einen wachsamen Blick über die Donau und hinein ins freie Germanien werfen sollte. Im Schatten der Befestigungsanlagen entwickelte sich eine blühende Zivilstadt, die zwar stets kleiner als die Provinzhauptstadt Augusta Vindelicum, das heutige Augsburg, blieb, jedoch schon bald an zweiter Stelle rangierte. Diese wichtige Stellung und die massiven Lagermauern stellten dann auch die Grundlage dafür, dass Regensburg über die Wirren der Völkerwanderungszeit hinweg ein wichtiger Siedlungsraum blieb, der im frühen Mittelalter zunächst zu einem frühen Herzogs- und Bischofssitz aufsteigen und nachfolgend zu einer der blühendsten Reichsstädte des Mittelalters heranwachsen sollte.
Doch zunächst ganz zum Anfang zurück. Das zweite Jahrhundert nach Christus kann für die römische Provinz Rätien trotz aller historischen Unsicherheiten gemeinhin als Blütezeit gesehen werden, die sich durch florierende Wirtschaft, wachsende Bevölkerungszahlen und städtischen Ausbau manifestierte. Um das Jahr 200 prosperierten etwa Cambodunum, das heutige Kempten im Allgäu, und die Hauptstadt Augusta Vindelicum, das heutige Augsburg, gleichermaßen als wichtige städtische Siedlungszentren. Im Laufe des zweiten Jahrhunderts erfolgten in den Donauprovinzen jedoch immer öfter Auseinandersetzungen mit den germanisch-sarmatischen Stämmen, die schließlich in die sogenannten Markomannenkriege von 166 bis 180 mündeten.
Kaiser Marc Aurel, der uns heute eher als stoischer Philosoph und „guter Kaiser“ bekannt ist, beschloss darum um 175 die Gründung und bis 179 den monumentalen Ausbau eines Legionsstützpunktes an der Donau. Das Lager erhielt den Namen Castra Regina und bedeckte mit Ausmaßen von 540 auf 450 Meter eine Gesamtfläche von 24,5 Hektar. Es ersetzte damit ein wenige Jahre zuvor zerstörtes Kastell samt kleinem Lagerdorf nahe dem heutigen Stadtbezirk Kumpfmühl. Die mehreren Ausbauphasen in Stein im Gebiet des heutigen Regensburgs postulieren ebenfalls einen hauptsächlich militärischen Schwerpunkt des neuen Lagers und heben die Bedeutung des Standortes hervor.
Der bislang nur von Hilfstruppen kontrollierte Donaubogen wurde somit im späten zweiten Jahrhundert zum Standort einer Legionskaserne. Der rasch um das Lager entstehende vicus, also eine zivile Siedlung, wies auch zahlreiche Spuren von bürgerlichem Leben auf, besaß später auch fast städtischen Charakter und nahm im zweiten Jahrhundert Ausmaße an, die dem des benachbarten Lagers gleichkamen. Neben der Zivilstadt und zugehörigen Gräberfeldern wurde das Regensburger Land zusätzlich durch zahlreiche Gutshöfe und Heiligtümer erschlossen. Die Blütezeit lässt sich ungefähr in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts datieren.
Mit dem Beginn des dritten Jahrhunderts kündeten sich die ersten Anzeichen der römischen Reichskrise an. Die kriegerischen Auseinandersetzungen auf rätischem Boden dauerten bis in das letzte Viertel des Jahrhunderts an. Die Einfälle hatten oft Italien als Hauptzielort, sorgten aber auch in Rätien für ein allgemeines Absinken des Lebensstandards, partielle Verwüstungen sowie eine gewisse Entvölkerung, wie zahlreiche Funde von irregulär beseitigten, menschlichen Überresten zeigen.
Nach großen Rückschlägen mussten im Jahr 260 alle Gebiete nördlich der Donau und östlich des Rheins abgetreten werden. Im ehemaligen Dekumatland zwischen Rhein und Donau siedelten sich in der Folge die Alamannen an, deren ambivalentes Verhältnis zum Römischen Reich lange zwischen Kontakt und Auseinandersetzung oszillierte. In Castra Regina lassen sich – ebenso wie in der Provinzhauptstadt Augusta Vindelicum – mehrere Zerstörungshorizonte ausmachen. Die Region wurde also regelmäßig von feindlichen Stämmen heimgesucht.
Mit dem komplexen Vorgang der Reichskrise brachen veränderte Rahmenbedingungen für Rätien an. Die Barbareneinfälle belasteten die Stabilität der Nordwestprovinzen und sorgten für eine permanente Gefahrenlage. Die neuere Forschung geht jedoch nicht mehr von einem „Limesfall“ und nachfolgender Siedlungsleere aus. Die Germanen töteten oder vertrieben nicht alle rätischen Bewohner. Der Limes hatte auch nach der Überwindung der Krise noch Bestand, es erfolgten Renovierungsmaßnahmen und der Bau von neuen, wenn auch verkleinerten Fortifikationsarchitekturen, den burgi.
Trotz der Aufgabe eines Großteils der regionalen Gutshöfe wurden einige villae rusticae auch nach 260 weiter bewirtschaftet. Zusammenfassend machten die zahlreichen Mikrokatastrophen während der Reichskrise jedoch auch Rätien zu einem Krisenherd. Um die Wende zum dritten Jahrhundert gewann die Provinz mit dem Ausbau des defensiv ausgerichteten „Nassen Limes“ an Rhein, Donau und Iller ihr Gewicht als rekonstituierter Militärstandort zurück und erlangte beispielsweise durch die diokletianischen und konstantinischen Reformen wieder ein Maß an Sicherheit, Stabilität und Wohlstand.
© Christian Schaller
Castra Regina, das heutige Regensburg, zeichnete sich von seiner Gründung an primär als Militärort aus und blieb dies auch bis zum Verschwinden der römischen Präsenz im späteren fünften Jahrhundert. Der Siedlungsschwerpunkt lag nach dem Abzug des Militärs im Nordwesten des alten Lagers. Die übrigen Bewohner zogen sich hinter die schützenden Mauern zurück und harrten dort über Generationen aus. Mit Beginn des frühen Mittelalters wurde der Standort am nördlichsten Donaubogen und geschützt durch mächtige Steinmauern als strategisch wertvoll erkannt. Der germanische Stamm der Bajuwaren wählte Regensburg als einen zentralen Ort seines sich neu herausbildenden Herzogtums aus. Die herrschende Dynastie der Agilofinger residierte zeitweise im alten Militärlager, sodass Regensburg zuweilen als eine erste Hauptstadt Bayerns aufgeführt wird.
Von den immerhin über dreihundert Jahren römischer Herrschaft haben sich auch im heutigen, stark überbauten Altstadtgebiet noch einige wichtige Spuren erhalten können. Bis heute definiert die Lage und Struktur des antiken Militärlagers die Stadtgestalt. Gerade an der Ostseite konnten sich zahlreiche Stücke der ehemaligen Befestigungen erhalten: Im Nordosten ist das ehemalige, prächtige Eingangstor, die Porta Praetoria, in die alte Bischofsresidenz integriert. Im frühen Mittelalter richtete sich der neue Oberhirte nämlich im Nordosteck der ehemaligen Befestigung ein.
Ein kurzes Stück südlich davon, am heutigen Dachauplatz gegenüber des Historischen Museums, ist ein langer Mauerabschnitt im Keller eines modernen Park- und Geschäftsgebäudes zugänglich – inklusiver musealer Aufarbeitung. Und im Südosten der Altstadt, unweit des Hauptbahnhofes, sind die Mauern sogar unter freiem Himmel sichtbar und zugänglich. Zudem folgen noch zahlreiche Altstadtgassen dem ehemaligen Verlauf der Mauer – so etwa Unter den Schwibbögen und die Goliathstraße im Norden, parallel zur Donau, oder die Wahlenstraße im Nordwesten.
Literatur:
- Dietz, Karlheinz / Fischer, Thomas: Regensburg zur Römerzeit. Von Roms nördlichster Garnison an der Donau zur ersten bairischen Hauptstadt. Regensburg 2018.
- Freitag, Matthias: Kleine Regensburger Stadtgeschichte. Regensburg 2007.
- Waldherr, Gerhard: Römisches Regensburg. Ein historischer Stadtführer. Regensburg 2015.
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