Riva – die Perle an der Nordspitze des Gardasees
von Anja Weinberger
Riva ist einfach ein »Muss« für alle Besucher des Gardasees. Die hübsche Stadt an der Nordwestspitze des Sees hat eine sehr lange und recht unübersichtliche Geschichte, die der Tatsache zu verdanken ist, dass der Gardasee und somit auch seine Anrainer-Orte ein beliebter Spielball der Mächtigen waren.
(Hinweise auf bis heute vorhandene und/oder im historischen Kontext interessante Gebäude im Kursivdruck)
Hier die Kurzfassung: Riva war vor der Völkerwanderung römisch, danach langobardisch, dann gehörte es zum Bistum Trient. Es folgten bald die Scaligeri, die Visconti, die Venezianer, wieder Trient, sehr kurz und verwirrend gar Frankreich, schließlich das österreichische Kaiserreich und 1918 endlich und bis heute der italienische Staat.
Und nun der immer noch übersichtliche, aber etwas längere Versuch. Zahlreiche Funde aus der Römerzeit erzählen von einer Nautikerschule, die hier existiert hat. Der heutige Name Riva leitet sich ab von »ripa«, also »Ufer«. Auch Reste römischer Bäder[1] wurden gefunden, was darauf hinweist, dass die Besiedlung nicht nur sporadisch war.
Der strapazierte Ausdruck »Wirren der Völkerwanderung« muss auch hier herhalten, denn er bezeichnet genau das, was nun folgte. Von den Goten bis zu den Franken – alle waren sie hier. Die Langobarden sorgten schließlich dafür, dass das Gebiet vom Kloster San Colombano in Bardolino aus missioniert wurde. Bereits damals blühte der Handel mit Wein und Oliven.
In der Folgezeit war Riva in Konflikte verwickelt, die nur mit den Begriffen Chaos oder Anarchie beschrieben werden können. Der langobardische Adel wehrte sich gegen fränkische Einmischungen, Bischöfe führten Krieg gegen Bürger, der Adel gegen die beginnende Städteherrlichkeit und alle gemeinsam wurden verblüfft von sarazenischen Piraten und ungarischen Reiterheeren. Das antike Oberitalien versank in Trümmern. Nicht die kleinste Möglichkeit für ein ita-lienisches Königtum war auszumachen; und schon nahte die nächste Kraftprobe, denn der Investiturstreit [2] zeichnete sich am Horizont der Geschichte ab.
1027 ist es der deutsche Kaiser Konrad II. gewesen, der das Bistum Trient deutlich vergrößerte, um den Kaiserweg nach Rom abzusichern. Seitdem war Riva Teil dieser damals recht gefestigten Herrschaft. Irgendwann in diesen Jahren wuchs der Torre Apponale am Hafen in die Höhe, dessen Baugeschichte ein Wirrwarr aus adeligen und fürstbischöflichen Interessen darstellt. Dieser Turm steht dort, wo Riva – so finde ich – am schönsten ist. Man kaufe sich in der benachbarten Eisdiele das Gelato der Wahl und setze sich einfach auf die Stufen am Ufer. Von hier aus hat man den See im Blick, die Berge, die an- oder ablegenden Linienschiffe, den ältesten Teil der Stadt und das Kommen und Gehen der Leute. Schaut man nur lange genug zu, so wird man reich belohnt mit Stoff für Geschichten über Geschichten. Aber nun zurück zur tatsächlichen Historie.
Nach dem bitteren Ende des Investiturstreites, denn wirklich gewonnen hatte wie immer in Kriegen niemand, entstanden die Stadtrepubliken. Riva selbst war natürlich nicht in der Lage bei diesem Spiel der Großen mitzuspielen. Und das entpuppte sich als dauerhaftes Problem. Denn die strategisch sehr günstige Lage des Städtchens führte dazu, dass beinahe jede der großen Familien der damaligen Zeit einen begehrlichen Blick auf die kleine Hafenstadt warf.
Ab 1349 waren schließlich die Scaligeri aus Verona Herren von Riva und blieben es bis zu ihrem Abtritt von der politischen Bühne im Jahre 1387. In diesen 40 Jahren entstanden viele Gebäude, die noch heute den alten Kern der Stadt prägen, wie der Palazzo Pretorio, der Palazzo del Provveditore und der Palazzo dei Governatori di Venezia.
Ab 1388 übernahmen die aus Mailand stammenden Visconti, die Verona erobert hatten, das Ruder in Riva. Nun wird die Stadt Kriegshafen, denn Venedig möchte diesen letzten Zipfel des Sees, der ja abgesehen von Riva schon ganz in ihrem Besitz war, keinesfalls in mailändischer Hand wissen. Ein abenteuerlicher Truppen- und Flottentransport durch das Gebirge führte zu zwei Seeschlachten, bei denen am Ende tatsächlich Venedig den Sieg erringen konnte.

Sirmione, © Peggy_Marco
Aus dieser Zeit stammen unter anderem die Ruinen der Bastion am Hang des Monte Rocchetta über der Stadt, zu der seit wenigen Jahren ein Aufzug hinaufführt. Man hat einen herrlichen Blick über den See und kann im 2020 erbauten Ausflugslokal daneben gut essen. Hat man Lust auf eine kleine Wanderung, so ist von hier aus die Barbara-Kapelle noch etwas weiter oben am Hang zu erreichen[3].
In der Folgezeit ist der ganze Lago di Garda für 70 Jahre venezianisch, länger nicht.
Denn schon machte die sog. Liga von Combrai diesem Zustand ein Ende. Grob gesagt wurde die Republik Venedig für Frankreich, Spanien, Kaiser und Papst zu mächtig. Man setzte sich zusammen, machte Pläne und es kam, wie es kommen musste.
Trient erhielt – natürlich nicht ohne neuerliches Blutvergießen – das nördliche Seeufer samt Riva zurück, und Fürstbischof Bernhard von Cles wandelte in der Folgezeit die schon von den Scaligeri erbaute Wasserburg in eine anmutige Anlage mit Garten, Fischteichen und viel Augenschmaus um.
Zu dieser Wasserburg, der Rocca di Riva mitten im Ort, hier ein paar ausführlichere Sätze. Die Rocca wurde im Jahr 1124 erstmalig erwähnt, als der Gemeinde die Erlaubnis erteilt wurde, am Ufer des Gardasees ein »Castrum Novum« zu erbauen. Gar nichts wissen wir darüber, wie es ausgesehen haben könnte. 1370 errichteten die Scaligeri am selben Ort, vermutlich auf altem Gemäuer, eine starke Befestigung [4]. Man kann sich die damalige Anlage ähnlich vorstellen, wie das Kastell in Sirmione: ein rechteckiger Grundriss mit dicken Mauern, umgeben von Wassergräben. Auch unter den Visconti und den Venezianern versah die Rocca ihre kriegerische Aufgabe. Und nun also betritt Bernhard von Cles die Bühne und versucht der Militärarchitektur ein friedlicheres Aussehen zu geben. Er ließ zwei Flügel der Vierflügelanlage umbauen, und während des Konzils von Trient wurden hier Empfänge gegeben.
Leider verschandelten die Österreicher die Anlage wiederum, als sie sie 1852 in eine Kaserne umbauten. Nach dem 1. Weltkrieg kam das Gebäudeensemble schließlich in den Besitz der Gemeinde von Riva. Heute gelangt man in das Stadtmuseum, überquert man die Brücke über den Wassergraben der Rocca. Hier, im wirklich schönen Museo Civico, befindet sich neben einer geschichtlichen und einer archäologischen Ausstellung auch eine Pinakothek, also eine Gemäldesammlung.
Und natürlich gibt es auch in Riva Kirchen. Die eindrucksvollste ist vermutlich die Chiesa della Beata Maria Vergine Inviolata, kurz auch Inviolata genannt. Sie steht an der Stelle, an der sich bis zu ihrem Bau eine Ädikula mit Marienbildnis befand, das zum Ziel von Wallfahrten wurde. Die bald darauf errichtete Holzkapelle entpuppte sich schnell als zu klein und man konnte, weil finanziell unterstützt durch den Fürstbischof, das Wagnis eines Kirchenbaues eingehen. 1603 wurde der erste Stein gesetzt und der Rohbau 1609 abgeschlossen. 1611 endlich konnte das verehrte Marienbildnis aus der Ädikula in den Hauptaltar der Inviolata überführt werden. Die Kirche mit ihrem achteckigen Aufbau und dem schönen Glockenturm ist typisch für den Manierismus [5]. Ihre eher nüchterne Fassade bereitet einen gar nicht auf den prachtvollen Innenraum vor.
Hier befinden wir uns dann nämlich längst im Barock und freuen uns über die Ausmalung der Kuppel und die vielen kunstvollen Stuckarbeiten. Die Inviolata steht außerhalb der Stadtmauer an der heute recht verkehrsreichen Kreuzung der Straßen nach Arco und Torbole. Wenn wir Glück haben, hören wir neben dem Autokrawall auch noch ein Gewirr un-terschiedlicher Instrumente, denn direkt neben der Kirche ist eine Außenstelle des Konservatoriums von Trient untergebracht.
Auch San Rocco ist einen kleinen Umweg wert. Das ehemals prächtige Kirchlein versank im 2. Weltkrieg und wurde in Teilen wieder aufgebaut. Es befindet sich im oben schon erwähnten ältesten Teil Rivas.
Eine weitere interessante Geschichte erzählt uns eine Kirche, die gar keine Kirche mehr ist. Die heutige Porta San Giuseppe war früher die Chiesa della Disciplina. Der sehr elegante, weite Durchgang in der Stadtmauer ist mit Marmorsäulen und Fresken geschmückt, lässt also schon vermuten, dass hier ein Umbau stattgefunden hat. Tatsächlich befinden wir uns an der Stelle des vermutlich ältesten christlichen Gebäudes der Stadt. Ursprünglich von einem Eremiten bewohnt, dann mehrmals umgebaut, können wir heute durch dieses Tor – eines von mehreren Stadttoren – in die Innenstadt von Riva eintreten und uns ins Getümmel stürzen. Hier im Gassengewirr fühlt man sich zunächst, als wäre man durch ein Zauberportal in die Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie versetzt worden. Spätestens in der Nähe des Seeufers sind viele der Häuser farbig verputzt und erzählen mit ihren barocken Stuckierungen von vergangenen Zeiten. Das lebhafte Geschehen um uns herum holt uns jedoch schnell zurück ins 21. Jahrhundert.
PS. Riva ist ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge in die Umgebung. Von hier aus kann man schöne Spaziergänge machen auf den Monte Brione oder entlang des Seeufers. Der Wasserfall von Varone ist schnell mit dem Auto zu erreichen, außerdem natürlich der ganze nördliche Teil des Gardasees samt der vielen Örtchen an seinen Hängen.
Fußnoten
1 … Eine Ausgrabungsstätte befindet sich mitten in der Altstadt.
2 … Mit dem Begriff Investiturstreit wird der Machtkampf zwischen König und Papst bezeichnet, der Mitte des 11. Jahrhunderts begann. Vordergründig ging es um die Frage, wer Bischöfe und Reichsäbte einsetzen darf. Jedoch reichte die grundsätzliche Bedeutung weit über diese Frage hinaus. Die geistig-politische Ordnung des Frühmittelalters löste sich teilweise auf und das Verhältnis von geistlicher Macht zu weltlicher Macht wurde neu definiert.
3 … Gutes Schuhwerk ist zu empfehlen.
4 … Gemeinsam mit den Scaligerburgen in Sirmione, Malcesine, Lazise und Peschiera del Garda konnte man so die Kontrolle über den See sicherstellen.
5 … Je nach Definition ist der Manierismus entweder eine Form der Spätrenaissance oder aber der Übergangsstil von der Renaissance in den darauffolgenden Barock.
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