Der Portugiese, seine Frau und sein (Dosen-)Fisch
von Maria Pussig
Noch der letzte Beitrag, der Porto in all seinen Facetten vorgestellt hat, plädierte dafür, auch einmal über die Rolle Portos als reine Hafenstadt hinauszuschauen und dem internationalen Treiben abseits portugiesischer Tradition etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Diese Ermutigung nicht vergessend, soll es hier nun trotzdem um ein zutiefst portugiesisches Produkt aus dem Meer gehen: Der Sardine aus der Dose. Aber nicht irgendein Dosenfisch soll hier vorgestellt werden, sondern jener einer ganz besonderen Firma in Porto, die es sich zum Ziel gemacht, dieses Fast Food der Seemänner in eine Delikatesse der Extraklasse zu verwandeln.
Die Anfänge der Familie Pinhal
Als die beiden Brüder Pinhal im Jahre 1920 die Konservenfabrik Pinhais&Ca. Lda. in Porto gründen, ahnen sie noch nicht, dass ihr Unternehmen einst lebendige Geschichte werden würde. Damals war die Konservenmanufaktur noch ein Unternehmen wie jedes andere dieser Branche: Der frische Fisch wurde früh morgens auf Markt ersteigert, in die Fabrik gebracht und dort von Hand zubereitet und in Dosen eingemacht.
Doch als nach dem Zweiten Weltkrieg auch die portugiesische Wirtschaft aufblüht und die Nachfrage nach Dosenfisch in die Höhe schießt, stellt dies einen Wendepunkt für die fischverarbeitende Industrie dar. Mit dem Wirtschaftswunder kommen Mechanisierung und Rationalisierung, welche die Handarbeit zunehmend ersetzen. Circa 600 Konservenfabriken gibt es zu dieser Zeit in ganz Portugal, 50 davon allein in Portos Stadtteil Matosinhos, wo die Pinhais&Ca. Lda. auch heute noch ihren Sitz hat. Diese schwimmt mit ihren Sardinen damals gegen den Strom und entschließt sich dazu, die manuelle Verarbeitung des Fisches beizubehalten. Ein wichtiger Grund für diese Entscheidung war auch, keine Kredite für die Umstellung auf Maschinen anzunehmen, um am Ende nicht wie so viele andere kleine Manufakturen an den Schulden zugrunde zu gehen.
Handgefertigt seit über 100 Jahren
Mittlerweile befindet sich die Pinhais&Ca. Lda. unter der Führung von Antonio Pinhal, dem Enkel eines der Gründer und Sohn jenes Mannes, der sich in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts revolutionär zeigte, indem er sein Unternehmen nicht an der maschinellen Revolution der Fischverarbeitung teilnehmen ließ. Diese Entscheidung unterscheidet die Pinhais&Ca. Lda. heute von den meisten anderen Unternehmen der Branche: Der frische Fisch wird nach wie vor früh morgens auf Markt ersteigert, in die Fabrik gebracht und dort immer noch von Hand zubereitet und in Dosen eingemacht.
Ersteres – das Ersteigern des Fisches – so verriet Antonio Pinhal einst in einem Interview, sei übrigens immer die erste Aufgabe des nächsten Erben gewesen. Er selbst habe ein Jahrzehnt damit verbracht, frühmorgens auf den Markt zu fahren und dort nach der frischesten Ware Ausschau zu halten. Es galt zu lernen, jene Sardinen, die in der Morgendämmerung gefangen wurden, von denen zu unterscheiden, die bereits bei Nacht ins Netz gegangen waren. Nicht älter als eine Stunde dürfe der Fang sein, um bei Pinhais in die Dose zu kommen.
Auch in vielerlei anderer Hinsicht setzt man bei Pinhais auf Tradition. „Sardinen werden im Meer geboren. Dosensardinen werden in den Händen der Frauen von Matosinhos geboren.” schrieb der Journalist Pedro Botelho unlängst in einem Beitrag und fasst damit eindrücklich zusammen, was die fast zu 80% weibliche Belegschaft der Manufaktur täglich leistet. Vom Ausnehmen der Sardinen, über das Grillen der Fische bis hin zum Befüllen und Verpacken der Dosen wird bei Pinhais alles per Hand verrichtet – wie vor 100 Jahren eben. Auch die wenigen technischen Hilfsmittel würden zum Großteil noch aus der Gründungszeit stammen, heißt es.
Dass Qualität statt Quantität auch ihren Preis haben darf, ist klar. Zwischen 2,50 und 4,45 Euro kostet eine Dose der handgefertigten Delikatesse. Im Vergleich dazu: Das industriell gefertigte Äquivalent im Supermarkt kostet rund 0,89.
Nuri – eine Marke geht um die Welt
Neben der hauseigenen Marke „Pinhais“ vertreibt die Manufaktur seit 1935 auch die für den internationalen Markt konzipierte Marke „Nuri“ – und das mit Erfolg. Seit der Pandemie hat der internationale Markt durch den neuen Online-Shop den Umsatz im Inland fast vollkommen ersetzt.
Zu den Hauptkonsumenten und –konsumentinnen gehören übrigens die USA, dicht gefolgt von Großbritannien, Kanada und Singapur. Doch die Zahl der internationalen Sardinen-Gourmets steigt weiter, seit die Manufaktur auch Besichtigungen und ein Museum anbietet. Wenn es die aktuellen Corona-Zahlen zulassen, kann man dann den flinken Händen der Mitarbeiterinnen dabei zusehen, wie innerhalb weniger Stunden aus den fangfrischen Sardinen kleine Leckerbissen für die Ewigkeit werden. Denn laut Antonio Pinhal verhält es sich mit Dosensardinen wie mit Portwein: Je älter, deso besser.
Museen und Ausstellungen rund um die Sardine aus der Dose
Wer nun Appetit auf mehr bekommen hat, findet in Porto neben dem Betriebsmuseum der Firma Pinhais auch noch andere Angebote rund um die Dosensardine. Etwas touristisch, aber durchaus mit Charme präsentiert sich beispielsweise „O Mundo fantastico das Conservas portuguesas“ – „Die Wunderwelt der portugiesischen Konserven“. In diesem Laden im Zentrum Portos finden sich nicht nur Dosensardinen in allen Variationen, sondern auch anderes eingemachtes Meeresgetier für jeden Geschmack, welche sich ideal als essbare Souvenirs eignen.
Aber auch von der Kulturabteilung Portos werden immer wieder Initiativen gestartet, dieses Erbe der portugiesischen Alltagskultur zu bewahren. Im letzten Sommer widmete beispielsweise die öffentliche Bibliothek in Matosinhos der Geschichte der Konservenindustrie eine Sonderausstellung, die nicht nur durch eindrückliches Foto- und Videomaterial überzeugen konnte, welches höchst intime Einblicke in die Lebensrealität und die Kultur der Fischerei eröffneten, sondern auch antike Werkzeuge und Maschinen dieser Zunft in neuem Glanz erstrahlen ließ. Zudem ergänzten lokale Künstler und Künstlerinnen der Gegenwart die Exposition durch Beiträge rund um das Thema Meer und Umweltschutz.
Initiativen wie diese bieten sich in Porto immer wieder an, sodass sich ein Blick in den Eventkalender der Stadt stets lohnt.
Was hat es nun mit der Frau auf sich?
Abgesehen davon, dass wir bei Pinhais&Co Lda die meisten Dosensardinen den tüchtigen Händen erfahrener Frauen zu verdanken haben, was hat denn nun eigentlich die Frau im Titel dieses Beitrages verloren? Nun ja, wie sich gezeigt hat, ist der Dosenfisch dem portugiesischen Volk mehr als nur ein Nahrungsmittel. Egal ob um 0,89 Euro aus dem Supermarkt oder um 4,45 Euro aus der Manufaktur, Fischfang und ‑verarbeitung haben in Portugal Tradition und sind in vielerlei Hinsicht Teil der kulturellen Identität der Portugiesen und Portugiesinnen.
Daher findet sich dieser Topos auch in vielen Sprichwörtern wieder, so auch in folgendem: „A Mulher Portuguesa quer-se pequenina, como a sardinha!“ Zu Deutsch etwa: „Eine portugiesische Frau soll sein wie eine Sardine: Klein und zart!“ Ob dies als Kompliment aufzufassen ist, oder nicht, ist Geschmackssache – eben so wie die Wahl des Dosenfisches.
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