Klein-Jerusalem an der Gera?
von Christian Bürger
Das jüdische Erbe Erfurts aus dem Mittelalter
Erfurt, 742 erstmals urkundlich erwähnt, hatte sich im Hoch- und Spätmittelalter dynamisch zu einem Zentrum des Fernhandels entwickelt. In diesem Zusammenhang siedelte sich auch zeitig eine jüdische Gemeinde an.
Die Juden waren in der christlich-katholisch dominierten Gesellschaft des Mittelalters eine Minderheit, die ständiger Diskriminierung ausgesetzt war. So war ihnen beispielsweise die Ausübung eines Handwerksberufes verwehrt, weshalb sie sie sich auf den zunächst ebenso wenig angesehenen (Fern-)Handel und auf den Geldverleih (das Zinsen nehmen war Christen kirchlich verboten) verlegen mussten. Bemerkenswert an der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts vor 1349 ist, dass die Juden mitten im sogenannten Lateinischen Viertel, in direkter Nachbarschaft zu den Christen, lebten und keinesfalls in einem abgeschlossenen Wohnbezirk (wie in anderen mittelalterlichen Städten).
Alte Synagoge Erfurt; © Heinrich Stürzl; Link zum Bild
Ältestes bauliches Zeugnis der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts ist die Alte Synagoge. Sie stammt in ihren ältesten Teilen aus dem 11. Jahrhundert, ist älter als die Prager Altneu-Synagoge und damit die älteste erhaltene Synagoge Mitteleuropas. Sie wurde im Laufe der der Zeit mehrfach erweitert und umgebaut. Als es im Zuge der Pestepidemie 1349 zu einem Pogrom und zur Auslöschung der ersten jüdischen Gemeinde kam, wurde das Haus durch den städtischen Rat in Besitz genommen und weiterverkauft. So wurde es im Laufe der Jahrhunderte unter anderem als Speicher und Gasthaus genutzt. Dieser Umnutzung ist es auch zu verdanken, dass das Gotteshaus die NS-Zeit überstanden hat. Ein Festsaal aus dem 19. Jahrhundert, der im oberen Bereich des Gebäudes liegt, legt noch heute Zeugnis davon ab.
Nachdem sie weitestgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden war, wurde die Alte Synagoge Anfang der 1990 „wiederentdeckt“, in den Besitz der Stadt überführt und restauriert. Seit 2009 beherbergt sie ein Museum zur jüdischen Geschichte Erfurts.
Bedeutendster Ausstellungsbestandteil ist der sogenannte Erfurter Schatz, eine Sammlung von Gold-und Silbermünzen, Barren, sowie Gold-und Silberschmiedearbeiten von unschätzbarem Wert. Die Stücke sind eine einzigartige Quelle für die Gold- und Silberschmiedekunst im Zeitalter der Gotik. Es handelt sich bei dem Schatzfund wohl um das gesammelte Vermögen der ersten jüdischen Gemeinde, die der Kaufmann Kalman von Wiehe vor dem Pogrom 1349 unter seinem Haus in der heutigen Michaelisstraße verborgen hatte. Dieser überdauerte dort versteckt die Jahrhunderte und wurde erst 1998, also nach über 600 Jahren, bei Abriss- und Bauarbeiten auf dem Grundstück wiederentdeckt. Berühmtestes Stück dieser Sammlung ist der sogenannte Erfurter Hochzeitsring. Der große, nur für den Hochzeitstag gedachte goldene Zeremonialring ist das Herz der Sammlung.
Wie die Alte Synagoge erst wiederentdeckt werden musste, wie man den „Erfurter Schatz“ durch Zufall wiederentdeckte, so wurde 2007 auch zufällig bei Bauarbeiten am Ufer der Gera die mittelalterliche jüdische Mikwe wiederentdeckt. Das Ritualbad befand sich am Rande des lateinischen Viertels und war im Mittelalter fußläufig durch eine Gasse zu erreichen, die die Synagoge mit der Mikwe verband. Nach der Wiederentdeckung wurde auch dieses Gebäude gesichert und restauriert und ist heute im Rahmen von Führungen der Öffentlichkeit zugänglich.
Es gäbe an dieser Stelle noch so viel mehr über die Geschichte des jüdischen Erfurts in Mittelalter und Neuzeit zu sagen, doch es muss an dieser Stelle vorerst genügen. In anderen Beiträgen auf dieser Seite wird noch des Öfteren hiervon die Rede sein.
Abschließend muss jedoch noch auf den Titel des Beitrags Bezug genommen werden . Lange Zeit standen die sogenannten SchUM-Städte am Rhein: Speyer, Worms und Mainz im Zentrum der Betrachtung, wenn es um jüdisches Leben im mittelalterlichen Deutschland ging. Mit den zunehmenden Erkenntnissen der Forschung wird man heute dazu kommen müssen, Erfurt in einem Zug mit den drei anderen Städten zu nennen. Das mittelalterliche Erfurt muss als das bedeutendste Zentrum jüdischer Kultur der Zeit im Osten Deutschlands gelten. Nicht nur wegen der einzigartigen Bauzeugnisse und des Ensemblecharakters, sondern u. a. auch wegen der schriftkulturellen Artefakte (Bsp. Erfurter Judeneid) und des kunsthandwerklichen Erbes (Bsp. Erfurter Schatz). Die Bezeichnung als kleines Jerusalem ist daher nicht ganz abwegig.
Dies veranlasste die Stadt Erfurt auch dazu, die Aufnahme des mittelalterlichen jüdischen Erbes Erfurts in das Weltkulturerbe der UNESCO zu beantragen. Die Prüfung des im Februar 2021 eingereichten Antrags läuft derzeit noch.
Verwendete Literatur
Literatur
Altwasser, Elmar/Schade, Gerhard/Sczech, Katrin: Alte Synagoge und Mikwe zu Erfurt. Jena 2009.
Sczech, Katrin: Die Erfurter Mikwe. In: Erfurter Schriften zur jüdischen Geschichte. Band 1. Jena 2012.
Onlinequellen
Kirste, Antje: Unesco prüft Erfurts jüdisches Erbe – Antrag auf „Welterbe“ eingegangen. Online unter: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/unesco-welterbe-juedisches-erbe-judentum-antrag-paris-100.html, letzter Abruf 21.03.2021.
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