Einführung in die Stadtgeschichte von Madrid
von Christian Schaller
Die Vielschichtigkeit und Multikulturalität des heutigen Spaniens spiegelt sich an wenigen Orten mehr als in seiner kosmopolitischen Hauptstadt Madrid. Mit heute über sieben Millionen Einwohnern ist sie die größte Stadt Spaniens und eine der größten Metropolen Europas.
Nach Berlin ist sie die zweitgrößte Stadt der Europäischen Union und ohnehin der größte urbane Raum in ganz Südeuropa. Die Stadt liegt am kleinen Fluss Manzanares im Herzen der Iberischen Halbinsel. Nicht nur geografisch, sondern auch politisch und kulturell ist Madrid seit vielen Jahrhunderten der Mittelpunkt Spaniens. Madrid ist Sitz des Königs, eines Erzbischofs, zahlreicher Behörden, aber auch national wie international bedeutsamer Firmen und Institutionen.
Bereits der Name verweist auf die wechselvolle Geschichte der des Landes. Im frühen Mittelalter gehörte die Region zum muslimisch-maurischen Reich von al-Andalus, das zwischen dem achten und 15. Jahrhundert über die Iberische Halbinsel herrschte. Eine römische oder frühmittelalterliche Vorgängersiedlung ist nicht ausgeschlossen, belegbar wird die Siedlung am Manzanares jedoch erst ab dem neunten Jahrhundert nach Christus, als der Ort in arabischen Quellen auftaucht. Um die Bedeutung des Namens herrschen nach wie vor Diskussionen, man geht jedoch in jeder Herleitung, ob nun lateinisch-romanisch oder arabisch, von einem Bezug zum Wasser aus – etwa Kanal, Flussbett oder Bachquelle.
Nach 854 wird das wahrscheinlich bestehende, kleine Dorf unter Emir Muhammad durch eine Festung gesichert. Im Jahr 1083 endete die maurische Herrschaft über Madrid, als das Königreich Kastilien im Zuge der sogenannten Reconquista die Region einnahm und einige Jahre später, um 1109, gegen einen maurischen Wiedereroberungsversuch behaupten konnte. Noch heute ist ein kleiner Teil der maurischen Festungs- und Stadtmauern im Bereich der Almudena-Kathedrale erhalten. Archäologen sind sich bis heute nicht restlos sicher, ob Madrid bereits in muslimischer Zeit eine Siedlung war oder lediglich ein Militärstützpunkt.
Spätestens mit Beginn der christlichen Zeit, also ab 1200, war Madrid jedoch eine Zivilstadt, die florierte und beständig heranwuchs. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts war die Siedlung bereits so bedeutsam, dass König Ferdinand IV., der Herrscher von Kastilien und León, die kastilische Ständeversammlung, eine Art Vorform der Regierung, in der zentral gelegenen Ortschaft einberief. Dies beförderte den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der Stadt immens. Die Stände wurden 1329, 1339, 1391 und 1393 sowie 1419 und 1435 erneut in die aufblühende Handelsmetropole geladen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung sollte dann jedoch im 16. Jahrhundert erfolgen, als der spanische Habsburger Philipp II. den königlichen Hof nach Madrid verlegte. Als neue de facto-Hauptstadt wurde der Ort im Laufe der Zeit prächtig ausgebaut. Seit 1561 und bis in die Gegenwart dient die Stadt am Manzanares damit – bis auf eine kurze Unterbrechung von 1601 bis 1606 – als Kapitale Spaniens. Die spanischen Habsburger förderten Madrid später, indem sie ganze Viertel, aber auch wichtige Großbauten anstießen – so etwa den berühmten Platz Puerta del Sol und mehrere andere Plazas sowie zahlreiche Kirchen und Paläste.
Der Spanische Erbfolgekrieg von 1701 bis 1714 darf als kleine Zäsur in der Stadtgeschichte gelten. Die Linie der Habsburger in Spanien starb aus und die Herrscherhäuser Habsburg von Österreich und Bourbon von Spanien führten einen erbitterten Krieg darum, wer den spanischen Thron zukünftig besetzen dürfte. Die Kriegsparteien zogen zahlreiche andere europäische Länder und Regionen mit hinein in die Kampfhandlungen und die Schlachtfelder verteilten sich über den halben Kontinent. Im Jahr 1706 wurde Madrid von englischen und portugiesischen Truppen besetzt. Wenige Jahre später errangen die französischen Bourbonen den Sieg, womit ihnen die Krone Spaniens samt der Residenz- und Hauptstadt zufielen. Die Nachfolger dieser Dynastie sitzen bis heute auf dem Thron. Ähnlich wie ihre Vorgänger, die spanischen Habsburger, bauten auch die neuen Herrscher Madrid weiter prachtvoll aus.
Unter ihnen entstand beispielsweise der barocke Königspalast, wie er im Großen und Ganzen bis heute besteht. Mit seiner enormen Grundfläche von 135.000 Quadratmetern und über 3.400 Zimmern gilt er heute als größtes königliches Schloss Europas. Gerade König Karl III., ein reformbegeisterter und aufgeklärter Bourbonenkönig des 18. Jahrhunderts, gilt bis heute als der „beste Bürgermeister von Madrid“, da er der Stadt zahlreiche neue Gebäude, Straßen und Plätze, aber auch öffentliche Gärten und eine verbesserte Wasserversorgung schenkte.
Im Zuge der Napoleonischen Kriege um 1800 wurde Madrid schließlich von den französischen Heeren besetzt. Napoleons Bruder Joseph Bonaparte wurde zum neuen König Spaniens ernannt. Unter ihm begann eine regelrechte Abrissmanie, ganze Stadtviertel und viele Klöster wurden im Zuge der Mediatisierung und Säkularisierung niedergelegt. Es kam zu zahlreichen Aufständen im Land, vor allem aber in Madrid, die jedoch grausam niedergeschlagen wurden. In Erinnerung an den berühmten Aufstand vom 02. Mai 1808 begeht Madrid heute noch einen arbeitsfreien Stadtfeiertag.
Der verhasste und alkoholabhängige Joseph Bonaparte floh bereits 1812 aus der Stadt. Liberale Intellektuelle verfassten daraufhin die sogenannte Verfassung von Cádiz, die erste Verfassung, die vom Volk entwickelt worden war. Nach dem Unabhängigkeitskrieg kehrte jedoch im Jahr 1814 Ferdinand VII. zurück und übernahm die Krone. Er war das älteste überlebende Kind von Karl IV., der 1808 zugunsten des neuen Herrschers, Napoleons Bruder, abdanken musste. Er erklärte die liberale Verfassung für ungültig und herrschte bis zu seinem Tod 1833 geradezu absolutistisch.
Nun folgte das Zeitalter der Restaurierung und des Biedermeiers. In Spanien erblühte in dieser Epoche der Carlismus, eine monarchistische Strömung, welche die neue Königin, Isabella II., zugunsten ihres Onkels Carlos von Bourbon absetzen wollte. Durch das gesamte 19. Jahrhundert sollten sich die drei schrecklichen Carlistischen Kriege ziehen, die geradezu als Guerilla-Bürgerkrieg ausgetragen wurden. Parallel zu dieser Bedrohung sah sich Madrid mit großen Änderungen konfrontiert: Administrative Reformen und politische Wirren bestimmten den Alltag über Jahrzehnte, während die Industrialisierung und zunehmende Urbanisierung auch Spanien ergriffen. Madrids alte Stadtmauern wurden als einengendes Korsett wahrgenommen. In alle Himmelsrichtungen erfolgten ausladende Stadterweiterungen, die Wirtschaft modernisierte sich rasant und Madrid wandelte sich langsam in eine moderne Metropole.
Sinnbild für diese Transformation ist bis in die Gegenwart die berühmte Gran Via, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgeführter Prachtboulevard mit zahlreichen Geschäften und Kultureinrichtungen.
Doch auch im 20. Jahrhundert sollte Spanien nicht vor Bürgerkriegen und Regimewechseln verschont bleiben. Nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1923, wurde durch den General Miguel Primo de Rivera eine Militärdiktatur ausgerufen. Während des Spanischen Bürgerkrieges von 1936 bis 1939 erlitt Madrid dann schwere Bombardierungen durch deutsche und italienische Truppen, da die Stadt bis zuletzt republikanisch gestimmt war. Am Ende etablierte sich erneut eine Militärdiktatur.
Unter Generalissimus Francisco Franco begann nun das Zeitalter des Franquismus, eine Ära der fast autokratischen Herrschaft. Nach grausamen, fast despotischen Anfängen wandelte sich der Regierungsstil des Regimes im Laufe der Jahrzehnte zu einer zwar immer noch autoritären, jedoch hauptsächlich konservativ ausgerichteten Herrschaft. Spanien erlebte geradezu ein Wirtschaftswunder und schloss zu den größten Industrienationen der Welt auf. Madrid wurde abermals massiv umgestaltet – städtebaulich und architektonisch, aber auch wirtschaftlich und demografisch. Die Bewohnerzahlen explodierten im Laufe des 20. Jahrhunderts und ab den 1960er Jahren wuchsen zunehmend Wolkenkratzer in die Höhe. Ab 1965 begann sich jedoch auch Widerstand gegen das Franco-Regime zu regen. Streiks und Studentenproteste führten nach dem Tod Francos 1975 zu einer nationalen Bewegung, die Juan Carlos I. von Bourbon als König einsetzte. Dieser initiierte die Demokratisierung und Öffnung Spaniens. Madrid florierte und wuchs auch weiterhin, 1992 war die spanische Hauptstadt sogar „Kulturstadt Europas“.
Die Weltfinanzkrise 2007/2008, vor allem das Platzen der Immobilienblase, setzten Spanien schließlich hart zu und sorgten für eine Krise und hohe Arbeitslosigkeit. Dennoch konnte sich die Stadt in den letzten Jahren gut davon erholen. Madrid präsentiert sich gegenwärtig als multikulturelle und schillernde Touristen- und Wirtschaftsmetropole, in der geschichtsträchtige Architektur, malerische Altstadtstraßen und wunderschöne Grünanlagen aufeinandertreffen. Vor allem die bunten und belebten Plätze der Stadt sind weltberühmt – so etwa die malerische Plaza de la Villa oder die repräsentative Plaza Mayor mit ihren zahllosen Balkonen.
Verwendete Literatur
- Hugh, Thomas: Madrid: A Travellers’ Guide. London 2005.
- Parsons, Deborah: A cultural history of Madrid: modernism and the urban spectacle. Oxford 2003.
- Stewart, Jules: Madrid: The History. New York 2012.
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