Einführung in die Geschichte der Stadt London
von Christian Schaller
London macht heute niemandem etwas vor: Die Stadt an der Themse ist eine unangefochtene Weltmetropole, die Hauptstadt Englands, Sitz des britischen Monarchen und auch trotz des Brexits ein globales Finanz- und Bankenzentrum.
Dabei hat die Stadt nicht nur eine beeindruckende Gegenwart, sondern auch eine überreiche Vergangenheit zu bieten. Seit der Antike ist das Gebiet besiedelt und London konnte über viele Jahrhunderte ein reiches architektonisches Erbe anhäufen, das noch heute die Besucher in Scharen anzieht.
Alles begann im Jahre 43 nach Christus, als das Römische Reich unter Kaiser Claudius das heutige England eroberte. Wenige Jahre später, wohl um 47, wurde die Siedlung Londinium von den neuen Herren gegründet. Die antike Stadt lässt sich unter heutigen City of London verorten. Sie lag günstig an einem Flussübergang über die Themse, über die auch die nahe Nordsee zu erreichen war. Die Herkunft des Namens ist bis heute ungeklärt: Sie könnte sich aus einem vorkeltischen Begriff für „Siedlung am breiten Fluss“ oder aber dem keltischen Wort für „wild, bewaldet“ herleiten.
Bereits um das Jahr 60 erlitt das römische London einen herben Schlag, als es während des Aufstands von Königin Boudicca zerstört wurde. Die Siedlung wurde danach jedoch rasch wieder aufgebaut und wuchs im nun relativ befriedeten Britannien rasch an. Dies führte um das Jahr 120 sogar dazu, dass die Hauptstadt der Provinz von Camulodunum, dem heutigen Colchester, an die Themse verlegt wurde – ein erster Hinweis auf die noch kommende Relevanz Londons in der Geschichte der Insel.
London erlebte im zweiten Jahrhundert eine Blütezeit und besaß eine Bevölkerung von 60.000 Menschen. Als römische Metropole, die Londinium nun war, verfügte die Stadt auch über alle Annehmlichkeiten des Imperiums. Archäologische Ausgrabungen konnten einen Regierungspalast, Thermen, Tempel und auch die größte Markthalle nördlich der Alpen nachweisen. Bereits 197 wurde Britannien von den Römer jedoch geteilt: Britannia inferior, also Niederbritannien im Norden, wurde nun unter die dortige Hauptstadt Eboracum, heute York, gestellt, während wenigstens Britannia superior, also Oberbritannien im Süden, auch weiterhin von Londinium aus verwaltet wurde.
Etwa zeitgleich wurden auch mächtige Stadtmauern um den Ort gezogen, welche die Stadtentwicklung über Jahrhunderte prägen sollten. Beginnend mit der Römischen Reichskrise des dritten Jahrhunderts begann der Niedergang der antiken Stadt. Mitte des fünften Jahrhunderts erlosch die römische Zentralgewalt allmählich, die regulären Soldaten verließen die Insel und nur wenige Jahre später endete 476 auch das Weströmische Reich. Die teilweise keltische, teilweise romanisierte Bevölkerung war nun den marodierenden germanischen Stämmen ausgeliefert.
Das teilweise entvölkerte und in Ruinen liegende Londinium wurde im frühen Mittelalter schließlich Teil des neuen angelsächsischen Königreiches Essex. Um 600 wurde die Region christianisiert und mit Mellitus ist auch der erste Bischof von London in dieser Zeit fassbar. Westlich der alten Römerstadt wurde mit Lundenwic eine weitere Siedlung gegründet, die beständig anwuchs.
In den folgenden Jahrhunderten wurde die Gegend um London immer wieder von den politischen Wirren erfasst. Verschiedene Königreiche und auch die Wikinger fegten über die Siedlung hinweg. Unter dem berühmten König Alfred dem Großen erhielt London sein Recht auf Selbstverwaltung und im zehnten Jahrhundert wuchs die politische Bedeutung der strategisch günstig gelegenen Stadt immer weiter an. Im Jahr 1066 beendete Wilhelm der Eroberer die angelsächsische Herrschaft über das Land und ließ sich in Westminster Abbey zum König krönen.
Nach den Römern und den angelsächsischen Germanen herrschte nun eine Dynastie von romanisierten Normannen über die Insel. Um weitere Wikingerangriffe zu unterbinden, gründete Wilhelm zudem drei Festungen entlang der Themse. Eine davon war der Tower of London. Nur wenige Jahre später wurde unter Wilhelms Sohn der Palace of Westminster begonnen, der nun zur Hauptresidenz der Könige wurde. Um 1200 wurde mit der London Bridge der Flussübergang neu gebaut – bis 1750 stellte die Brücke auch den einzigen festen Übergang über die Themse im Stadtgebiet dar. London steuerte nun erneut auf eine wirtschaftliche Blütezeit zu. Bereits 1154 übernahm die Angevinische Dynastie die Herrschaft von den Normannen.
Das mittelalterliche Britannien sollte lange Jahrhunderte der politischen Wirren erleben, in denen zuerst das Haus Plantagenet im Hundertjährigen Krieg und schließlich deren Seitenlinien, die Häuser Lancester und York, in den Rosenkriegen um Macht und Einfluss wetteiferten. Für London bedeuteten die Kriege jedoch keinen gravierenden Notstand: Um 1300 lebten bereits 80.000 Menschen in London.
Die Metropole florierte. Eine wichtige Änderung brachte dann auch die Reformation im 16. Jahrhundert: Bis dahin hatte fast die Hälfte des Grundbesitzes Klöstern und Klerus gehört, die nun enteignet wurden. Die Neuverteilung an König, Adel und andere weltliche Besitzer belebte die Ökonomie und London etablierte sich als eine zentrale europäische Handelsstadt der frühen Neuzeit.
Trotz des enormen Wachstums im 16. Jahrhundert wurde gerade das 17. Jahrhundert zu einer Ära der Katastrophen – und des Neubeginns. Um 1665 wurde London von der Großen Pest heimgesucht, bei der 70.000 Menschen starben. Im Jahr darauf, 1666, ereignete sich dann der Große Brand, bei dem über 13.000 Häuser zerstört wurden.
Obwohl es Planungen zu einer Neugestaltung gab, scheiterten diese am fehlenden Geld, sodass viele Gebäude wieder entlang der über Jahrhunderte gewachsenen, verwinkelten Gassen neu erbaut wurden. Christopher Wren war der führende Architekt dieser Epoche, der wohl vor allem für seinen Neubau der monumentalen St. Pauls Cathedral bekannt ist. Gleichzeitig zogen viele der reichen oder adligen Bewohner in das neu entstehende West End Londons, während es viele ärmere Familien in das East End zog.
Das 19. Jahrhundert ließ London dann in jeder Hinsicht explodieren: Die Bevölkerung wuchs rasant, neue Stadtteile schossen aus dem Boden, die Industrie, aber auch Wissenschaften und Künste blühten. Das viktorianische Zeitalter begann und ließ London rasch zu einer führenden Weltmetropole und einer der größten Städte der Welt aufsteigen. Die Stadt an der Themse war nun das Herz des Britischen Weltreiches, das um 1900 ein Viertel der Weltbevölkerung und ein Viertel der Landfläche der Erde beherrschte. London dehnte sich unfassbar aus. Die Angriffe der deutschen Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges sorgten für weitreichende Zerstörungen, bei denen zugleich 30.000 Einwohner zu Tode kamen. Doch auch nach Kriegsende sank die Bevölkerung weiter, da viele Londoner Familien in die Vorstädte ziehen wollten. Auch der ehemals bedeutsame Hafen lag in großen Teilen brach. Zugleich begann sich das British Empire immer mehr aufzulösen.
London begann jedoch am Ende des 20. Jahrhunderts zahlreiche Entwicklungsprogramme, um dem Verfall und Leerstand entgegenzuwirken. Um die Jahrtausendwende war London wieder fest im Sattel: Die Stadt galt und gilt unverrückbar als eine der bedeutendsten Metropolen der Welt, als globales Zentrum für Finanzen und Dienstleistungen, aber auch als kulturell und gesellschaftlich facettenreiche Megacity, in die alljährlich Millionen von Besuchern pilgern.
Verwendete Literatur
Ackroyd, Peter: London. The biography. London 2000.
Germer, Erich: London. Geschichte und kulturgeschichtliche Stätten der britischen Hauptstadt. Leinsweiler 1993.
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