Die Rialtobrücke
von Thomas Stiegler
Die Rialto-brücke
von Thomas Stiegler
Am nördlichen Ende der Adria liegt jene Stadt, die Europa über Jahrhunderte hinweg mit dem Orient verband und die die Geschichte unseres Kontinents prägte, wie kaum eine zweite zuvor.
Wenn man heute über den Markusplatz schlendert und sich die Zeit nimmt, all die Baudenkmäler und Kunstschätze Venedigs zu bewundern, dann sollte man nicht vergessen, dass diese Pracht nur auf einem starken Fundament aus Geld und Macht entstehen konnte, welches die Menschen mit bloßen Händen dem Morast dieses kargen Landstriches entrissen. Denn das Venedig, wie wir es heute kennen, als eine der glanzvollsten Städte des Abendlandes, hatte einen wenig ruhmreichen Beginn.
Zwar empfanden sich die Veneter seit jeher als die eigentlichen Erben Roms im Westen Europas [1] und leiteten davon einen besonderen Anspruch an ihre Zukunft ab. Aber das reichte nicht in einer Zeit, in der im Zuge der Völkerwanderung immer wieder Invasoren wie Goten, Vandalen oder Hunnen mordend und brennend die Apenninenhalbinsel durchzogen. Denn auch die Veneter, in jenen Tagen noch Bewohner der Küsten, waren ein stetes Opfer ihrer Überfälle und mussten zu ihrer Sicherheit immer wieder in die Deckung der Lagunen flüchten, wo sie sich schließlich ganz niederließen.
Doch ihre größte Bewährungsprobe stand ihnen noch bevor: Im Jahre 810 n. Chr. stand ein Heer der Franken [2] vor ihren Toren, eroberte Insel um Insel und drohte schließlich auch noch Rivus Altus, ihren letzten Zufluchtsort, einzunehmen. Doch aus Not und Verzweiflung wuchs ihnen die Kraft, diesen Flecken im Meer zu verteidigen, und die Franken mussten erfolglos abziehen. Doch mehr noch als den Menschen war dieser Sieg den morastigen, von Land wie von See schwer zu erreichenden Inseln zu verdanken, auf denen die Veneter nun eine der prächtigsten Städte des Abendlandes bauen sollten.
Doch im Laufe der Zeit wurde das, was einst Rettung aus größter Not bedeutete, zum Hemmschuh für eine Metropole, die ihren Reichtum fast ausschließlich dem Handel verdankte. Denn Venedig wird durchzogen von einem weitverzweigten Netz an Wasserstraßen, und für jeden Transport war man auf die Hilfe kleiner Schiffe oder Barken angewiesen. Das größte Hindernis war dabei der Canal Grande, der die Stadt in einer großen Schleife durchfließt und sie quasi zweiteilt. Um einen schnelleren Verkehr zwischen den so entstandenen beiden Zentren der Stadt zu gewährleisten, versuchte man schon im Frühmittelalter, den Kanal mit einer Pontonbrücke zu überspannen. Doch schon bald sollte sich herausstellen, dass ein derartig instabiles Bauwerk für die geforderten Zwecke nicht geeignet war.
So entschloss sich der Rat von Venedig unter dem Dogen Renier Zen [3], den Kanal mit einer Holzbrücke zu überspannen. Die schon damals „Rialtobrücke“ genannte Konstruktion sollte schließlich für fast 350 Jahre der einzige Fußweg über den Canal Grande bleiben, obwohl es damit massive Probleme gab. Vor allem drohte immer die Gefahr eines Feuers und tatsächlich brannte die Brücke auch mehrmals ab. Doch auch wenn das nicht passierte, musste sie regelmäßig erneuert werden, denn durch das un- günstige Klima und das Meerwasser war das verwendete Holz innerhalb kürzester Zeit verrottet und die Brücke drohte einzustürzen.
So suchte man nach einer dauerhafteren Lösung. Da der ähnlich breite „Canale di Cannaregio“ schon 1503 mit einer großen Steinbrücke überspannt worden war, [4] fasste man den Entschluss, auch die hölzerne Rialtobrücke durch ein Bauwerk aus Stein zu ersetzen. Doch es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis man diesen Bau endlich in Angriff nehmen konnte.
Neben dem Problem, das notwendige Gold aufzutreiben, waren es die für die damalige Zeit fast unmöglichen Anforderungen an die Architekten, die zu dieser Verzögerung führten. Denn der Rat der Stadt verlangte ein Bauwerk, das aus einem einzigen Segmentbogen bestand (um einen raschen Verkehrsfluss auf dem belebten Canal Grande zu ermöglichen), und gleichzeitig sollte die Brücke so groß und tragfähig sein, dass man hier, in unmittelbarer Nähe der städtischen Hauptumschlagsplätze, weitere Läden auf ihr errichten konnte.
Außerdem wünschte man ein repräsentatives Bauwerk, dessen Ruf weit über die Grenzen der Stadt hinaus erstrahlen sollte. Denn das einst so stolze Venedig hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem erheblichen Verlust an Macht und Ansehen zu kämpfen und mit diesem Bauwerk wollte man seinen Ruf als strahlendste Stadt des Abendlandes wieder festigen.
Nach jahrzehntelangen Diskussionen über die Gestaltung des Bauwerkes sollte sich schließlich der Architekt und Bauherr Antonio da Ponte mit seinen vorgelegten Plänen durchsetzen.
„Der Weg musste bequem sein, damit man nicht, wenn man oben ankommt im Sommer, bereits erschöpft ist und dann herunterstolpert. Man geht sogar bequem über die Brücke, obwohl sie so hoch ist, weil die Stufen so intelligent dimensioniert sind, wie die Stufen in einem Königspalast, nämlich niedrig und lang. Es musste dafür gesorgt werden, dass Läden auf dieser Brücke gebaut werden konnten. Und dann musste man von dieser Brücke den ganzen Bereich, den Canal Grande und die angrenzenden Bereiche, sehen oder bewundern können, um sich ein Bild vom Reichtum, der Vielfalt, halt von dem zu machen, was Venedig bedeutet.“ [5]
Der endgültige Beschluss zum Bau der Brücke fiel 1588 unter dem Dogen Pasquale Cicogna [6] und bereits drei Jahre später, am 20. März 1591, konnte sie für den Verkehr freigegeben werden. Doch anders als die kurze Bauzeit vermuten lässt, gestaltete sich der Bau von Anfang an als außerordentlich schwierig. Vor allem hatte man mit dem weichen Untergrund zu kämpfen und mit dem Problem, die riesige Last des Bauwerkes gleichmäßig zu verteilen und damit ein Einsinken zu verhindern. Doch zum Glück hatte man auf die Erfahrung da Pontes vertraut.
Um die Standfestigkeit der Brücke zu gewährleisten, ließ er auf jeder Seite des Flusses 6.000 Erlenstämme mit einer Länge von jeweils 3,50 Metern dicht an dicht in den schlammigen Untergrund treiben und schuf damit ein stabiles Fundament, das die Rialtobrücke bis heute trägt.
Aufgrund der Schwierigkeiten beim Bau dieser für die damalige Zeit hoch komplexen Konstruktion rankten sich von Anfang an zahlreiche Geschichten um sie. Eine handelt davon, wie da Ponte einen Pakt mit dem Teufel schloss, um die Brücke fertigstellen zu können.
Denn dieser schien von Beginn an seine Hände im Spiel zu haben: Immer wieder kam es zu Unglücksfällen, fielen Teile der Brücke in sich zusammen oder verschwand kostbares, scheinbar unersetzliches Material. Doch da Ponte, wild entschlossen, sich nicht aufhalten zu lassen, traf sich zu nächtlicher Stunde mit dem Teufel und versprach ihm die erste Seele, die die fertiggestellte Brücke überqueren sollte. Im Stillen hegte er dabei den Plan, einen jungen Hahn vorauszuschicken und so den Teufel um seinen Lohn zu prellen. Zu diesem Zweck stellte er an beiden Seiten der Brücke Wachen auf und gab ihnen den strikten Befehl, keiner Menschenseele den Zutritt zu gewähren. Doch der Teufel bekam Wind von der Sache, verkleidete sich als Bote und eilte zur schwangeren Frau des Baumeisters. Er erzählte ihr, dass ihr Mann dringend nach ihr verlangte und sie auf der Brücke erwarte. Rasch warf sich da Pontes Weib ihre Kleider über und machte sich im Dunkel der Nacht auf den Weg – um schließlich an der Brücke von den Wachen erkannt und durchgelassen zu werden.
So kam der Teufel (wenigstens der Legende nach) doch noch zu seinem Lohn und Venedig zu seiner wohl schönsten und bekanntesten Brücke.
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