Die Reise der Heiligen Drei Könige
von Berno Maria Hübinger
Alles beginnt mit dem Evangelium des Matthäus.
Denn gemäß Matthäus wird Jesus in der Stadt Betlehem in Judäa geboren. Bald nach seiner Geburt kommen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragen: “Wo finden wir das neugeborene Kind, den kommenden König der Juden?“ (Mt 2,2). Hier sind sie, die Wanderer aus dem Osten, vielleicht Persien, die einem Stern gefolgt sind, und deswegen auch Sterndeuter genannt werden. Andere nennen sie die Weisen aus dem Morgenland oder „magi“ im Englischen, was ein wenig nach Magier klingt oder Zauberer.
Wir erfahren weiterhin, dass sie dem Stern bis Betlehem folgen, wo sie das Kind mit seiner Mutter Maria finden. Sie überreichen ihre Gaben, Gold, Weihrauch und Myrrhe, und dann reisen sie in ihr Land zurück (Mt 2,12).
So könnte die Reise der Sterndeuter enden, wäre da nicht die Taufe des Konstantin des Großen. Der residiert zunächst in Trier, bevor er nach Rom aufbricht, um seine Ansprüche auf den Titel des Kaisers endgültig zu sichern. Dies gelingt ihm im Jahr 312 n.Chr. in der Schlacht an der Milvischen Brücke. Der Legende nach reiten seine Legionäre mit dem Christusmonogramm an ihren Standarten in die Schlacht. Konstantin sei das Gotteszeichen in einer Vision erschienen, berichtet Eusebius, Bischof von Nikomedia.
„In hoc signum vinces“, mit diesem Zeichen wirst Du siegen. Konstantin gewinnt die Schlacht gegen seinen Rivalen Maxentius und wird zum Alleinherrscher über den gesamten Westen des Römischen Reiches.
Das Christusmonogramm hat Konstantin den Sieg gebracht. Das bleibt nicht ohne Folgen. Mit dem Toleranzedikt von Mailand erlässt Konstantin Gesetze zu Gunsten der Christen, die noch unter der Tetrarchie seines Vorgängers Diokletian grausam verfolgt wurden. Es ist eher ein politisches und weniger ein religiöses Kalkül, dass Konstantin veranlasst, das Christentum anzuerkennen. Das dokumentiert er schlussendlich, als er sich auf dem Sterbebett taufen lässt.
Mit der Hinwendung Konstantins zum Christentum schlägt die Stunde der Helena. Helena ist die hochbetagte Mutter Konstantins. Sie reist nach Palästina auf der Suche nach Reliquien, und sie wird fündig. Bei Ausgrabungen findet sie Gebeine und identifiziert sie als die Gebeine der Sterndeuter, die wohl doch nicht in ihre Heimat zurück gereist sind.
Helena bringt die Gebeine nach Konstantinopel, wo ihr Sohn seit neuestem residiert. Nach einer weiteren Legende schenkt Konstantin die Gebeine dem Bischof Eustorgius, der sie in seinen Bischofssitz nach Mailand bringt. Hier ruhen die Gebeine vorerst über mehrere Jahrhunderte, noch weit entfernt von einer überbordenden Verehrung.
Es ist das Jahr 1162. Kaiser Barbarossa belagert Mailand. Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln und Erzkanzler für Italien, kämpft an des Kaisers Seite. Der Erzbischof repräsentiert sowohl die geistliche als auch weltliche Macht, und so ist kriegerisches Handeln für ihn eine Selbstverständlichkeit. Als Mailand kapituliert, bekommt Rainald von Dassel als Dank für seinen Einsatz ein Geschenk aus der Kriegsbeute, dass er sich möglicherweise gewünscht hat: die Gebeine der Heiligen Drei Könige. Am 23.Juli 1164 erreicht er Köln und wird triumphal empfangen. Köln wird Heimat einer der begehrtesten Reliquien des Christentums.
Ein goldener Schrein wird in der Goldschmiedewerkstatt des Nikolaus von Verdun in Auftrag gegeben. Denn nur Gold wird dem Anspruch von Königen gerecht, die ehemals als Weise aus dem Morgenland, zur Krippe gekommen sind.
Doch Weise, Magier oder Zauberer haben im Machtgefüge des christlichen Abendlands keine Autorität. In den Ländern herrschen Könige, und so werden aus den Weisen Könige, die die christlichen Herrscher in ihrer Autorität legitimieren. Die Zahl der Könige wird anfangs in Wandgemälden noch unterschiedlich dargestellt. Dann setzt sich die Zahl drei durch, jeder König repräsentativ für einen der drei bekannten Kontinente.
Amerika und Australien sind noch nicht entdeckt, sonst wäre der Gabentisch an der Krippe reicher gedeckt gewesen.
Köln hat den Aufstieg zu einem der berühmtesten Pilgerorte geschafft. Jetzt pilgern die Menschen nicht mehr nur auf dem Jakobsweg nach Santiago di Compostela oder nach Rom an das Grab des Petrus, sondern sie kommen nach Köln, so wie auch die Deutschen Könige nach ihrer Krönung in Aachen als erstes zum Dreikönigenschrein eilen, um den „wahren Königen“ zu huldigen.
Die Verehrung von Reliquien ist den Menschen im Mittelalter eine Stütze in einem Leben, das von vielen Ängsten, von Krankheit, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit und Armut bedroht ist. Was bleibt den überwiegend armen Gläubigen auch anderes übrig, als ihren Halt in der Frömmigkeit zu suchen. Ihr irdisches Leben gestaltet sich derart jammervoll, da gibt wenigstens ein glückliches Leben nach dem Tod Hoffnung.
Angesichts des offen zur Schau gestellten Prunks der Kirchenfürsten entstehen im 12. Jahrhundert Bewegungen, die Armut als christliche Botschaft predigen, die Askese einfordern, auch von den Mächtigen auf den Bischofsstühlen. Sie nennen sich „Katharer“, die „Reinen“. Die Kirche wandelt das Wort um in „Ketzer“ und verfolgt die Reinen gnadenlos. Die Inquisition wird geboren, ein europäischer Kreuzzug in Marsch gesetzt.
Die Kirche antwortet zur Befriedung der Gläubigen mit immer spektakuläreren Reliquien. In Trier wird der Heilige Rock im neu errichteten Hochaltar eingeschlossen. Pippin III schenkt der Abtei Prüm die Sandalen Christi und Köln entdeckt die Legende der Heiligen Ursula. Im 5. Jahrhundert segelt die britannische Königstochter Ursula über die Meere zum Papst. Begleitet wird sie von elf Jungfrauen. Der Rückweg führt sie den Rhein hinunter nach Köln, wo sie unglückseligerweise den Hunnen begegnen. Die Begegnung endet in einer Tragödie. Ursula und die elf Jungfrauen erleiden ihr Martyrium, durchbohrt von den Pfeilen der Hunnen.
Von einer Königstochter Ursula ist in den bedeutendsten Martyrologien bis ins 11. Jahrhundert nichts bekannt. Dessen ungeachtet erfährt die Legende von der Heiligen Ursula nun eine immer glanzvollere Ausschmückung. Zunächst sind es elf Jungfrauen, die die Ursula auf ihrer Odyssee begleiten. Als die Nachfrage nach Reliquien steigt, sind es auf einmal elftausend Jungfrauen. Die Knöchelchen werden einem alten römischen Gräberfeld entnommen. Dass viele Knöchelchen dabei männlich sind, ist leicht zu erklären, denn ein derart gewaltiger Tross an weiblicher Grazie muss männliche Begleitung gehabt haben.
Das Attribut „gold“ begleitet die Drei Könige und die Heilige Ursula bis heute. Der Dreikönigenschrein empfängt die Gläubigen immer noch in strahlendem Gold, und die Reliquien der Heiligen Ursula und ihren Gefährtinnen werden in St. Ursula in der „Goldenen Kammer“ präsentiert.
Die Reliquienverehrung der Neuzeit trägt unverhohlen touristische Züge. Endlose Pilgerströme umrunden den Chor der Kölner Kathedrale. Die Menschen fotografieren den Schrein, mal mit, mal ohne dem eigenen Konterfei. Die Geschichte der Könige, die in dem Schrein aufbewahrt werden, gerät in Vergessenheit. Sie, die symbolisch für das Darbringen von Gaben in der Weihnachtsgeschichte stehen, sind längst vom Weihnachtsmann abgelöst worden.
Um den Geschenksack des Weihnachtsmanns angemessen zu füllen, schießen Weihnachtsmärkte wie Pilze aus dem Boden. In Köln zählt der Weihnachtsmarkt auf dem Roncalliplatz zu Füßen des Doms zu einem der schönsten. Da darf auch eine Krippendarstellung nicht fehlen.
Im Mittelpunkt stehen das Jesuskind auf dem Schoß von Maria, daneben Josef. Ein Engel hält den doppelten Stern in die Höhe, Symbol für die mögliche Konjunktion von Jupiter und Saturn, die dem Stern, dem die Weisen gefolgt sind, eine besondere Strahlkraft gegeben hat.
Verwunderlich ist, dass die Heiligen Drei Könige bereits im Dezember an der Krippe erscheinen. Ihnen bleibt auch nichts anderes übrig, denn die Weihnachtsmärkte werden am Heiligen Abend geschlossen. Hier geht die Reise der Heiligen Drei Könige zu Ende.

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Verwendete Literatur
Heinen, Heinz: Konstantin der Große – Leben und Werk. In: Bistum Trier (Hg.) Konstantin und Europa. Dillingen 2007
Norwich, John J.: Byzanz – Aufstieg und Fall eines Weltreichs. Berlin 2010
Schade, Oskar: Die Sage von der Heiligen Ursula und den Elftausend Jungfrauen: Ein Beitrag Zur Sagenforschung. Hannover 1854 (reproduction of a book published before 1923)
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