Die Fuggerei in Augsburg
von Christian Schaller
Die Fuggerei in Augsburg ist die älteste, sich kontinuierlich in Benutzung befindliche Sozialsiedlung der Welt.
Sie wurde von 1514 bis 1523 im Auftrag der Brüder Ulrich, Georg und vor allem Jakob Fugger (dem Reichen) unter der Leitung des Baumeisters Thomas Krebs erbaut.
Die über fünfhundert Jahre alte „Stadt in der Stadt“ mit einer eigenen Mauer und mehreren Eingangstoren bietet gegenwärtig in 67 Häusern mit 142 Wohnungen rund 150 Bewohnern auf einer Gesamtfläche von 15.000 Quadratmetern eine Unterkunft. Die Jahreskaltmiete ist dabei seit der Gründung die gleiche geblieben: ein rheinischer Gulden – umgerechnet also 0,88 Euro.
Um auf die lange Warteliste für eine der Sozialwohnungen zu kommen, müssen jedoch verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden. Potentielle Mieter müssen unverschuldet in finanzielle Not geraten sein, dürfen keine Vorstrafen besitzen, müssen im Stadtgebiet Augsburgs als wohnhaft gemeldet sein und zudem dem katholischen Glauben angehören.
Bis heute verpflichten sich die Bewohner nämlich zu drei Gebeten täglich für ihren Stifter Jakob Fugger und dessen Familie und Nachkommen, denn bis heute verwaltet die Fuggersche Stiftung die Siedlung.
Durch ihre Größe, die wahrscheinlich vom Ideal- und Planstadtgedanken inspirierte klare Struktur der geradlinigen Gassen und zweistöckigen Häuser sowie die bis heute ununterbrochene Nutzung kann die Fuggerei als herausragendes Ensemble gelten.
Nach den Zerstörungen der Bombennacht im Februar 1944 konnten 20% der Wohnungen weiter genutzt werden. Bereits 1948 war der Rohbau fertiggestellt, 1955 war die historische Fuggerei ganz ohne staatliche oder städtische Zuschüsse wiederaufgebaut. Auf dem zerstörten Areal waren die meisten Holzinnenwände und Dachstühle verbrannt, die Außenmauern und Zwischenwände waren zum Großteil erhalten.
Die Bedingungen für eine Rekonstruktion wurden als günstig erachtet, weswegen das Familienoberhaupt Joseph Ernst Fugger von Glött den Architekten Raimund von Doblhoff beauftragte, für den der Familienname der Fugger wiederum ein Türöffner zu hochwertigen Baumaterialien war. Die Fuggersche Stiftungsadministration pochte hierbei auf ein Mitspracherecht in finanziellen, aber auch ästhetischen Fragen – die Bewahrung des angestammten Bildes war ausdrücklich gewünscht, ein im Wortsinn „konservativer Wiederaufbau“ wurde angestrebt.
Die typisierten Reihenhäuschen wiesen minimale Unregelmäßigkeiten auf, neben mehrfachen Umbauten gab es über hundert verschiedene Fenster- und Türmaße sowie Traufkanten. Diese wurden alle akribisch durch Doblhoff erhalten. Gleichzeitig wurden die Häuser aber auch modernisiert – Elektrizität, Heizung, Kanalanschluss, Wasserleitungen und Isolierungen wurden eingebaut, die Leitungen wurden jedoch verborgen. Die Aufteilung in drei Zimmer, Flur und Küche wurde beibehalten, von den Kammern wurden Badezimmer abgezweigt, die Toiletteneinbauten des 19. Jahrhunderts und die veralteten Rauchküchen wurden entfernt. Die Innenwände wurden in Ziegeln statt in Holz ausgeführt, die Schlafzimmer erhielten Holzdecken, die Wohnräume Stuckdecken.
Gleichzeitig erfolgte eine Erweiterung des Areals, die Grundstücksankäufe sollten unter anderem mit Grünflächen versehen werden und die Belichtung und Belüftung verbessern. Zudem entstanden bis 1971 neue Wohnzeilen an der Neuen Gasse, der Gartengasse und der Gasse am Sparrenlech, sodass die Wohneinheiten von 106 auf 140 anstiegen. Die Neubauten sind von den wiederaufgebauten Zeilen nicht zu unterscheiden.
An der Jakoberstraße wurde von 1953 in zwei Etappen bis 1963 der Senioratsbau errichtet, der Verwaltung, Archiv, Tagungsräume, ein Lokal sowie eine Administratorwohnung enthielt. Auch diesen neuen Trakt verband Doblhoff geschickt mit dem Bestand, der Markuskapelle, dem Markusplätzle und dem Holesischen Hof, und integrierte Spolien aus kriegszerstören Bauten.
Vom Fuggerhaus am Rindermarkt verbaute er ein Netzrippengewölbe, Maßwerk-Türgewände und einen Wappenstein vom Erker der Goldenen Schreibstube. Aus Schloss Kirchheim integrierte er Holzkassettendecken sowie einen geschnitzten Türrahmen mit flankierenden Säulen. Das Schirmgewölbe der Leonhardskapelle aus dem Welserhaus am Kesselmarkt und der Höchstetter-Erker mit gotischem Maßwerk folgten.
Die Leonhardskapelle wurde ursprünglich von der Familie Ilsung um 1241 an der heutigen Karolinenstraße errichtet und Mitte des 14. Jahrhunderts umgebaut. Aus dieser Zeit stammt das gotische, sechsteilige Sterngewölbe samt verzierten Schlusssteinen und Kapitellen, welches nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1958 als Rettungsmaßnahme entfernt und 1962 in das Senioratsgebäude der Fuggerei eingebaut wurde.
Die nördlich und südlich anschließenden Kreuzrippengewölbe sind zum größten Teil Nachbildungen. Nach außen hin glich Doblhoff den Bau nahtlos an die Umgebung an, im Inneren wählte er eine durchaus hybride Formensprache, beispielsweise eine geschwungene Freitreppe im Stil der Zeit um 1960. Die weitgehend bruchlose Einpassung ließ ein „Architektur-Pasticcio“ entstehen, das dennoch Irritationen aufweist und dadurch Indizien der ehemaligen Zerstörungen liefert – unter anderem befindet sich nach wie vor das Höchstetter-Wappen am Erker.
Die Markuskirche wollte Doblhoff im barockisierten Vorkriegszustand wiederherstellen, die Stiftungsadministration forcierte jedoch eine Rückführung in einen durch den Architekten Franz Zell fingierten Renaissance-Zustand, der für die Fuggerei als passender empfunden wurde. Götz Freiherr von Pölnitz bewies sich hier nicht nur als Kontrolleur Doblhoffs, sondern forderte auch eine Beteiligung an ästhetischen Fragen.
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von Christian Schaller
Eine durch die Fuggerschen Stiftungen veröffentlichte Broschüre vermittelt nicht nur die Geschichte der Sozialsiedlung, sondern widmet jedem Gebäude, seiner Bedeutung und Baugeschichte einen einzelnen Absatz. Auch die Details werden behandelt, beispielsweise die Stiftertafeln, gotischen Hausnummern, Klingelzüge oder Treppengiebel.
Die Fuggerei bildet gegenwärtig einen musealisierten Gebäudekomplex und – wie in der Frühen Neuzeit – eine Stadt in der Stadt. Das Senioratsgebäude, die Administration, die St.-Markus-Kirche, Schule, Mesnerhaus und Krankenstation sowie die von Privatpersonen bewohnten Einzelhäuser werden durch das Fuggereimuseum im letzten original erhaltenen Haus der Fuggerei, einer modern eingerichteten Schauwohnung sowie der Dauerausstellung „Die Fuggerei im Zweiten Weltkrieg – Zerstörung und Wiederaufbau“ im kurz nach Kriegsbeginn entstandenen Luftschutzbunker ergänzt.
Darüber hinaus widmen sich zwei Broschüren der Regio dezidiert den Fuggern. Sowohl in der Broschüre „Die Fugger in Augsburg. Sehenswürdigkeiten der Fuggerstadt“ als auch in „Die Fugger und Welser. Ihre Sehenswürdigkeiten in Augsburg“ werden – neben dem Fugger und Welser Erlebnismuseum – vor allem der Fuggerei ein Platz als zentraler Erinnerungsort an die Kaufmannsfamilie sowie das „Goldene Augsburg“ im Allgemeinen eingeräumt.
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Verwendete Literatur
- Kluger, Martin: Die Fugger im goldenen Augsburg der Renaissance. Denkmäler erzählen Geschichte. Augsburg 2017.
- Nagler, Gregor: „Das Wegwerfen ist ja ein Irrglaube“. Raimund von Doblhoff und der Wiederaufbau der Fuggerei, der Fuggerhäuser und des Neuen Bauens in Augsburg. In: Nerdinger, Winfried (Hg.): Raimund von Doblhoff, 1914-1993. Architekt zwischen Rekonstruktion und Innovation. (= Schriften des Architekturmuseums Schwaben, Bd. 8). Berlin 2009, S. 53-84.
- Nagler, Gregor: „Das Wegwerfen ist ja ein Irrglaube“. Raimund von Doblhoff und der Wiederaufbau der Fuggerei, der Fuggerhäuser und des Neuen Bauens in Augsburg. In: Nerdinger, Winfried (Hg.): Raimund von Doblhoff, 1914-1993. Architekt zwischen Rekonstruktion und Innovation. (= Schriften des Architekturmuseums Schwaben, Bd. 8). Berlin 2009, S. 53-84.
- Nagler, Gregor: Fuggerei, Augsburg. In: Nerdinger, Winfried (Hg.): Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. Kat.Ausst. München (TU München in der Pinakothek der Moderne) 2010. München 2010, S. 346-348.
- Trepesch, Christof: Fuggerei. In: Schülke, Yvonne (Hg.): artguide Augsburg. Kunst-, Kultur- und Stadtführer. Augsburg 2008, S. 180-183.
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