Eröffnung der Wiener Staatsoper

von Christine Piswanger-Richter

Man sagt, in Wien weiß jeder Taxifahrer, wer hier singt. Nun, das mag vielleicht ein bisschen übertrieben sein, aber ja, es interessiert Einheimische wie Gäste, was in der Wiener Staatsoper gespielt wird und welche Stars aktuell hier auftreten, denn – zumindest in »Wiener Eigenwahrnehmung« handelt es sich um das erste Opernhaus in der »Weltstadt der Musik«.

 

Aber nicht nur die Opern und ihre Interpreten sind interessant, auch das Gebäude ist etwas Besonderes und hat eine eindrucksvolle Geschichte, denn die gesamte Wiener Ringstraße ist bis zur Gegenwart eines der bedeutendsten städtebaulichen Projekte. Um sie zu ermöglichen, wurden die alten Stadtmauern und Befestigungsanlagen abgerissen und auch ein neues Opernhaus sollte hier Platz finden. Zuvor gab es ein Operntheater im Bereich der Hofburg. Dieses war 1629 entstanden und wurde 1744 abgerissen, um Platz für den Redoutensaal zu schaffen. Bereits 1708 wurde das Kärntnertortheater errichtet, das bald fast ausschließlich für Opernaufführungen genutzt wurde.

Nachdem am 17. April 1870 der Schlussapplaus zu Rossinis Wilhelm Tell verhallte, wurde das Gebäude abgerissen. Natürlich durfte man Wien und die Wiener nicht ohne Oper lassen, deswegen begannen die beiden Architekten Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg bereits 1861 die Planung für das Neue Hofoperntheater. Sie waren die Gewinner der Ausschreibung für das Opernprojekt und Kaiser Franz Joseph genehmigte höchstpersönlich die veranschlagten Baukosten von rund sechs Millionen Gulden (nach heutigem Wert sind das rund 84 Millionen Euro). Die beiden Architekten kannten einander schon seit dem Studium, wohnten und arbeiteten zusammen und hatten bereits Erfahrung im Theaterbau. Sicardsburg war für die Technik und Organisation zuständig, van der Nüll für Ästhetik und Dekoration.

Am 20. Mai 1863 fand die Grundsteinlegung statt, sechs Jahre später – 1869 – war die Oper im Neorenaissancestil fertiggestellt. Aber leider, der Bau gefiel zu Beginn den Wienern nicht. Der Heinrichshof, der gegenüber der Oper stand, hatte monumentale Ausmaße und stahl der neuen Oper gewissermaßen die Show. Das wäre aber in den Augen der Wiener nicht das Schlimmste gewesen. Da das Ringstraßenniveau nach dem Baubeginn der Oper um einen Meter angehoben wurde, fehlten außen die üblichen Treppen. Man nannte die neue Oper despektierlich eine »versunkene Kiste« oder das »Königgrätz der Baukunst«. Bei ihrer Kritik an den beiden Architekten sparten die Wiener nicht an Häme. So kursierte das Gedicht » Sicardsburg und van der Nüll, die haben beide keinen Styl, griechisch, gotisch, Renaissance, das is denen alles ans!«[1] 

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Auch Kaiser Franz Joseph missfiel der Bau und soll das auch öffentlich kundgetan haben. Das Drama nahm seinen Lauf: Eduard van der Nüll erhängte sich. Seine Frau war im achten Monat schwanger, als sie den leblosen Gatten fand. Ob ihn vor allem die Kränkung zum Staatsopern-Bau in den Freitod getrieben hat, die Überlastung oder auch seine Lungenkrankheit Einfluss hatte, ließ sich nicht mehr klären. Wenige Wochen danach starb dann Sicardsburg an einem Herzschlag. Dass der Kaiser sich fortan jeglicher kritischen Äußerung in der Öffentlichkeit enthielt und stets nur »Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut«[2] gesagt habe, ist mittlerweile als Legende entlarvt, denn der Satz findet sich in der Literatur über Kaiser Franz Joseph erst im 20. Jahrhundert.

Ein gutes Jahr nach dem Selbstmord von Eduard van der Nülls, am 25. Mai 1869, wurde die Oper schließlich feierlich eröffnet. Das Straßenniveau war etwas abgesenkt worden, so dass sich zumindest ein paar Stufen ausgingen. Und mittlerweile gefiel das Gebäude auch den kritischen Wienerinnen und Wienern. An der Innengestaltung hatten sie ohnehin nichts auszusetzen. Zur Eröffnung – in Anwesenheit des Kaisers – wurde Mozarts Don Giovanni gegeben, und der Einzige, der an diesem Abend starb, war der spanische Verführer auf der Bühne, dessen Höllenfahrt nun ebenso beklatscht wurde wie die neue Oper.

Die Wiener Staatsoper ist nach wie vor »der Musentempel« Österreichs und ihre Bedeutung in der internationalen Opernszene zeigt sich unter anderem dadurch, dass sie oftmals in einem Atemzug mit der Mailänder Scala, dem Royal Opera House Covent Garden in London und der Metropolitan Opera in New York genannt wird.

 

Wiener Staatsoper, Foto pixabay

Fußnoten

 

[1] https://www.habsburger.net/de/spottvers-auf-sicardsburg-und-van-der-nuell

[2] https://de.wikiquote.org/wiki/Franz_Joseph_I._von_%C3%96sterreich

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Fußnoten

 

[1] https://www.habsburger.net/de/spottvers-auf-sicardsburg-und-van-der-nuell

[2] https://de.wikiquote.org/wiki/Franz_Joseph_I._von_%C3%96sterreich

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