Die bittersüße Geschichte der Melomakárona

von Andrea Strobl

Wer schon einmal um die Weihnachtszeit in Griechenland war, dem ist vielleicht dieses ganz besondere Weihnachtsgebäck aufgefallen, das uns hier, zu kleinen Pyramiden aufgetürmt, in fast jeder Bäckerei ins Auge sticht.

Auch eine Tante meines Mannes, ihres Zeichens die beste Köchin unseres weitverzweigten Familienclans, backte jedes Jahr ganze Berge davon. Denn nicht nur wollte eine ganze Großfamilie mit dieser weihnachtlichen Köstlichkeit versorgt werden (einige besonders Schlaue hatten auch immer »rein zufällig« eine leere Keksdose bei sich), sondern auch jeder Besucher musste (besser gesagt: durfte) diese Köstlichkeit probieren. Die Rede ist natürlich von dem griechischen Weihnachtsgebäck schlechthin: den μελομακάρονα [Melomakárona] …

 

Das Wort setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort μέλι [méli] für Honig und dem altgriechischen μακáρια [makária], der Bezeichnung für das Seelenbrot, das den Trauergästen nach einer Beerdigung gereicht wurde und angeblich die Form von winzigen, länglichen Brotlaiben hatte. Schon bei den Trauerfeiern für die Opfer des Peloponnesischen Krieges (431 bis 404 v. Chr.) wurden solche μακάρια an die Anwesenden verteilt. Dafür waren die Klageweiber zuständig, die die Verstorbenen an den Gräbern beweinten und das Seelenbrot verteilten, das sie vorher zu Hause gebacken hatten. Dieser antike Brauch hat sich übrigens bis heute erhalten, denn in Griechenland wird den Trauergästen noch immer eine Art Seelenbrot gereicht, wobei es sich heute um ein Gemisch aus gekochtem Weizen, Zucker, Granatapfelkernen, Rosinen und Nüssen handelt. Es wird von der Familie der Verstorbenen in der Nacht vor der Beerdigung zubereitet: Die Masse wird auf einem großen Tablett ausgestrichen, mit einer dicken Schicht Puderzucker überzogen, mit einem angedeuteten Kreuz aus silbernem Mandelkonfekt dekoriert und vorsichtig zur Kirche gebracht, um während des Trauergottesdienstes vom Popen gesegnet zu werden. Nach der Beerdigung wird es dann portionsweise in kleine Papiertütchen verpackt und an die Anwesenden verteilt.

Aber zurück zur ursprünglichen Geschichte des Seelenbrotes: Auch im Byzantinischen Reich kannte man dieses einfache Gebäck, begann aber damit, es in Honigsirup zu tunken – und nannte es dann bezeichnenderweise Melomakárona, also in etwa »honigsüßes Seelenbrot«. Es wird vermutet, dass der Grund für das »Versüßen« der Seelenbrote die Vorstellung war, dass mit der Geburt Christi ein besseres, also »süßeres« Leben für die Menschheit begann. Deshalb wählte man als Süßmittel auch Honig, der als christliches Symbol für Reinheit und die Süße des Paradieses stand. Von Kleinasien aus verbreitete sich dann der Brauch, die Melomakárona während der zwölf Tage zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, dem Fest der Theophanie (Fest der Taufe Christi), zu verspeisen, da mit dem 25. Dezember offiziell die Fastenzeit vorüber war und man sich wieder etwas Süßes gönnen durfte. Auch heute noch findet man in Griechenland dieses köstliche Gebäck nur während der Weihnachtszeit –  wenn auch mittlerweile schon einige Zeit vor dem 25. Dezember.

Aber auch weitere etymologische Erklärungen sind noch interessant: Eine davon besagt, dass sich das Wort Melomakárona in byzantinischer Zeit zu μακαρονία [makaronía] weiterentwickelte und nun den Leichenschmaus bezeichnete, der oft aus Teigwaren bestand. Über den griechischsprachigen Teil Siziliens schließlich führte es zur italienischen Bezeichnung macaroni für eine bestimmte Nudelart; und als das bekannte Wort macaron findet sich der Begriff auch im Französischen wieder, wo er seit dem Mittelalter eine Art Mandelgebäck bezeichnet – womit sich der etymologische Kreis zu unserem leckeren griechischen Weihnachtsgebäck schließt …

Nach dieser langen Vorrede will ich Ihnen natürlich auch das Rezept für mein bevorzugtes griechisches Weihnachtsgebäck noch verraten, von dem es mittlerweile viele Varianten gibt – mit Zuckerersatz, mit Bier, mit Walnussfüllung, mit Schokolade überzogen und vieles mehr. Aber am köstlichsten ist immer noch das alte, traditionelle Rezept:

Zutaten für den Teig (ergibt ca. 50 Stück)

240 ml Sonnenblumen- oder Maisöl
240 ml leichtes Olivenöl
50 ml Cognac
200 g feiner Kristallzucker
900 g Mehl
160 ml frischer Orangensaft
1 gestr. TL Backsoda (Natron)
1 gestr. TL geriebene Nelken
2 gestr. TL Zimt
Abrieb von 2 Orangen
2 gestr. TL Backpulver

 

Für den Sirup

400 g Zucker
400 ml Wasser
400 g Honig
½ unbehandelte Zitrone (zum Mitkochen)
ca. 150  g  fein gehackte Walnüsse
(nach Wunsch kleingehackte Pistazien zum Bestreuen)

 

In einer großen Schüssel das Sonnenblumen- und Olivenöl gut mit dem Zucker, Cognac, Zimt, Nelken und dem Orangenabrieb vermischen. Den Orangensaft und das Backsoda gut vermengen und dem Teig beimischen. Jetzt gibt man langsam das gesiebte Mehl und das Backpulver hinzu und knetet den (zugegebenermaßen sehr öligen) Teig mit den Händen leicht durch (wenn man zu lange knetet, wird der Teig zu fest und das Gebäck zu hart). Danach sollte man ihn ca. 15 Minuten zugedeckt ruhen lassen. Nun etwa walnussgroße Stücke abtrennen und zu kleinen, länglichen »Brotlaiben« formen (ca. 5-7 cm lang). Auf ein Backblech setzen (Backpapier ist nicht unbedingt notwendig, da der Teig selbst sehr ölig ist) und mit einer Gabel die Oberfläche leicht einstechen, damit später der Sirup gut aufgenommen wird. Bei 160 °C Umluft in den vorgeheizten Backofen geben und ca. 25 Minuten backen.

Während die gebackenen Melomakárona auskühlen, können Sie den Sirup vorbereiten: Dazu vermischen Sie alle Zutaten in einem Topf und lassen das Gemisch kurz aufkochen. Die Temperatur dann sofort so weit vermindern, dass der Sirup ca. 3 Minuten vor sich hin simmern kann. Den sich an der Oberfläche bildenden Schaum vorsichtig abschöpfen. Die vollständig erkalteten Melomakárona in einer großen Form eng nebeneinander auslegen, langsam mit dem noch warmen Sirup übergießen und ca. 20 Sekunden warten, bis sie sich auf beiden Seiten gut vollgesogen haben. Wenn Sie möchten, können Sie die Melomakárona anschließend noch mit ein wenig kleingehackten Pistazien bestreuen. Danach in einem luftdichten Behälter – lagenweise mit Backpapier getrennt – aufbewahren.

 

Und damit bleibt mir nur noch, Ihnen einen guten Appetit und frohe Weihnachten zu wünschen: Καλή όρεξη και καλά Χριστούγεννα [Kalí órexi ke kalá Christújenna] !

 

PS: Diesen Beitrag und viele andere finden Sie übrigens auch im diesjährigen Weihnachtsband des Leiermann-Verlags »Weihnachtliche Kulturgeschichten – ein Streifzug durch Europa«

 

 

Quellen

Quellen:

https://www.iefimerida.gr/stories/istoria-melomakarona-katagogi-koyrampie-glyka (abgerufen 26.9.22)

https://emvolos.gr/syntagi-h-istoria-toy-melomakaronoy-kai-i-kalyteri-syntagi/ (abgerufen 26.9.22)

https://www.argiro.gr/2021/12/apo-pou-pire-onoma-tou-melomakarono-kai-poia-istoria-tou/ (abgerufen 26.9.22)

Für das Rezept: https://www.argiro.gr/recipe/melomakarona/ (abgerufen 26.9.22)

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