Die Barfüßerkirche in Augsburg
von Christian Schaller
Betritt man heute den Innenhof der Barfüßerkirche findet man eine ruhige, grüne Oase inmitten der Augsburger Innenstadt vor.
Doch das war nicht immer so. Als eine der ersten Franziskanergründungen nördlich der Alpen war der Ort lange Jahrhunderte ein Zentrum des Glaubens. In der Reformationszeit wurde der Sakralbau zu eine der ersten und größten protestantischen Kirchen in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Augsburg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sogar der später berühmte Dramatiker Bertolt Brecht hier konfirmiert. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche dann jedoch stark zerstört. Es folgte ein interessantes Wiederaufbaukonzept, das die Barfüßerkirche auch im Augsburg der Gegenwart noch zu einer faszinierenden Sehenswürdigkeit macht.
Im Jahr 1221 kamen franziskanische Mönche nach Augsburg und gründeten in der wachsenden Handelsstadt am Lech eine Kirche. Die Gemeinschaft entstand damit noch zu Lebzeiten des heiligen Franziskus und war gleichzeitig die erste ihrer Art nördlich der Alpen. Von hier aus breitete sich die franziskanische Bewegung in ganz Deutschland aus. Die Gegend um die Barfüßerkirche war vor 800 Jahren inmitten des traditionellen Handwerkerviertels gelegen. Hier flossen die Kanäle des Flusses Lech durch die Quartiere der einfachen Leute – Mühlräder und Pumpwerke konnten hier die Wasserkraft nutzen, um den mittelalterlichen Handwerken wesentlich effektiver nachzugehen, als es die Muskelkraft von Menschen oder Tieren vermocht hätte.
Die Bezeichnung Barfüßer kam aus dem Volksmund – die Brüder der Gemeinde legten ein Armutsgelöbnis ab und verzichteten auf weltlichen Besitz und damit auch auf Schuhwerk. Der erste, romanische Kirchenbau wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch einen Brand zerstört, sodass sich die Bürger Augsburgs für einen völligen Neubau entschieden. Die 1407 bis 1411 ausgeführte, gotische Hallenkirche wurde zur größten ihrer Art im gesamten süddeutschen Raum. Das Kirchenschiff bot circa 2000 Menschen Platz.
Die Mönche engagierten sich als Prediger und Seelsorger und waren in der gesamten Stadt geschätzt und beliebt. So schufen und kompilierten sie im Mittelalter sogar die Rechtssammlungen für Augsburg, die sich durch die schrittweise Einforderung von Privilegien und Verwaltungsrechten über die Jahrzehnte von einer Bischofsstadt zu einer autonomen Reichsstadt entwickelte. Auch die neuen Lehren der Reformation wurden im frühen 16. Jahrhundert vor allem durch das franziskanische Kloster angenommen und vermittelt.
Der Prediger Johann Schilling genoss in den 1520er Jahren durch seine selbstbewussten Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit eine große Beliebtheit – natürlich vor allem unter den ärmeren Bevölkerungsschichten. Die Franziskaner hielten somit die erste evangelische Predigt in der Reichsstadt, die Priester waren die ersten, die sich verheiratet haben und zehn Jahre nach der Auflösung des Konvents wurde der Ort 1536 zur ersten evangelischen Pfarrkirche Augsburgs.
Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 bedeutete für die Reichsstadt Augsburg schweres Leid, die auch vor den Gotteshäusern keinen Halt machte. Die Stadt wurde mehrmals erobert und besetzt, zudem kosteten Hunger und Krankheit abertausende Menschenleben. Die Bevölkerung der Stadt am Lech wurde in nur wenigen Jahren mehr als halbiert – von den um das Jahr 1600 geschätzten 45.000 Bewohnerinnen und Bewohnern lebten im Jahr 1635 nur noch knappe 16.000.
Nach einer kurzen Besatzungszeit durch die protestantischen Schweden von 1632 bis 1635 fiel Augsburg damals wieder an die katholischen Truppen des Kaisers und Bayerns. Von 1635 bis 1649 waren in der Folge alle evangelischen Kirchen der Stadt beschlagnahmt. Die protestantischen Bürgerinnen und Bürger durften ihre Gottesdienste nur noch unter freiem Himmel ausüben und gleichzeitig durften auch nur zwei evangelische Pfarrer in der Stadt verbleiben – und das auch nur, weil diese das Bürgerrecht innehatten.

Barfüßerkirche, ©ChristianSchaller
Nach dem Ende des Krieges wurde durch den Westfälischen Frieden die Parität festgesetzt, also die gesetzlich verordnete Gleichberechtigung der Katholiken und Protestanten innerhalb der Stadtmauern. Die Barfüßerkirche konnte wieder zu einem Zentrum des Glaubens avancieren.
Im 18. Jahrhundert barockisierte der Künstler Matthias Lotter den ehrwürdigen Bau. Ab 1723 wurden die alten, gotischen Fenster in ein unteres Rundbogenfenster und ein oberes Fensteroval aufgeteilt, die Strebepfeiler wurden entfernt und eine reiche Stuckverzierung wurde angebracht. Der Maler Georg Bergmüller schuf prachtvolle Deckenfresken. Auch eine neue Orgel wurde durch den berühmten Instrumentenbauer Johann Andreas Stein geschaffen, auf der später sogar Wolfgang Amadeus Mozart und auch Albert Schweitzer spielen sollten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde wenige Gebäude weiter der später weltberühmte Dramatiker Bertold Brecht geboren. Er wurde in der Barfüßerkirche getauft und konfirmiert.
Während der Augsburger Bombennacht 1944 inmitten des Zweiten Weltkrieges wurde die Kirche fast vollständig zerstört. Zahlreiche Kunstwerke verbrannten und nur das Gewölbe des Ostchores überstand das Inferno. Während des Wiederaufbaus entschied man sich darum für eine interessante Raumlösung. Der Chor wurde an der offenen Westseite zugemauert und wieder als Kirche genutzt.
So ergeben sich die außergewöhnlichen Ausmaße von 24,5 Metern Länge auf 22,5 Metern Höhe. Die Wände wurden absichtlich nicht verputzt, um einerseits an die ursprüngliche, franziskanische Kirche mit ihren ungeschlämmten Wänden zu erinnern, gleichzeitig aber auch das zeittypische Ideal der „Purifizierung“ zu verwirklichen. Die Nachkriegszeit war alles in allem auch eine Zeit der großen Not, in denen Kosten und Material gespart werden mussten. Zahlreiche Ölgemälde waren jedoch vor dem Krieg ausgelagert worden und konnten somit gerettet werden.
Sie zieren heute wieder die rohen Wände des hohen Raumes und geben einen Einblick in die protestantische Glaubenswelt und Kunstvorstellung. Besonders hervorstechend ist jedoch das sogenannte „Barfüßer Christkind“, eine Skulptur des berühmten Augsburger Künstlers Georg Petel, dem damals vielgerühmten „deutschen Michelangelo“. Das fröhliche Jesuskind mit seinen geröteten Wangen war ursprünglich die Krönung auf dem Schalldeckel der barocken Kanzel, von der aus die Prediger an das Volk sprachen.
Anders als der Predigtstuhl überlebte das heitere Kunstwerk die Feuersbrunst – angeblich nur deshalb, weil es von einer Anwohnerin gerettet wurde, die mutig in das brennende Gebäude eilte und die Figur in den Luftschutzbunker rettete. Auf den restlichen zwei Dritteln der zerstörten Kirche wurden Wohnungen rund um einen Innenhof errichtet, was gerade in den Jahren nach dem Krieg eine dringende Notwendigkeit in der stark zerstörten Großstadt Augsburg war. Der Garten ist heute ein öffentlicher Ort der Begegnung, der aber auch eine grüne, ruhige Oase inmitten der Innenstadt bieten soll.

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von Christian Schaller
Literaturhinweise:
Balk, Thomas: Kirche „Zu den Barfüßern“ Augsburg. Regensburg 1994.
Geier, Gerd: Tradition und Aufbruch: Zu den Barfüßern Augsburg. Ein Lesebuch. Festschrift zum Barfüßerjubiläum 1999. Augsburg 2005.
Jesse, Horst: Die Geschichte der Evangelischen Kirche in Augsburg. Pfaffenhofen 1983.
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