Der Kreuzberg

 

 

 

von Martina Hahn

Ein Spaziergang auf einen Berg, der einem ganzen Bezirk den Namen gab

Wenn man mit den U-Bahnlinien 6 oder 7 kommend, an der Haltestelle Mehringdamm aussteigt und die Stufen nach oben kommt, steht man  an einer mehrspurigen, stark befahrenen Straße – dem Mehringdamm. Wir befinden uns im südwestlichen Teil von Kreuzberg, ein Ortsteil von Berlin, der bis 2001 noch ein eigenständiger Bezirk war und im Zuge der Bezirksreform mit dem Bezirk Friedrichshain fusionieren musste. Seitdem heißt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

Direkt vor uns erkennen wir ein imposantes, burgenartiges Gebäude mit Rundbögen, Türmen und Zinnen. Gebaut wurde es  1850-1854 als Garde-Dragoner-Kaserne, wird aber schon seit den 1920er Jahren als Finanzamt genutzt. Hinter uns liegen die denkmalgeschützten „Friedhöfe vor dem Halleschen Tor“. Eine Anlage von sechs verschiedenen Friedhöfen, die ab Anfang des 18. Jahrhunderts hier noch vor den Toren der Stadt entstand.

Lassen wir den Blick nach Süden schweifen, erkennen wir, dass die Straße leicht ansteigt. Diese natürlichen Erhebungen gehören zur Hochfläche des Teltow, ein vor etwa 30.000 Jahren entstandenes, eiszeitliches Plateau. Durch die Bebauung im Laufe der Jahrhunderte sind die Tempelhofer Berge, wie sie hier auch einmal hießen, abgeflacht und nicht mehr überall nachvollziehbar.

Der Weg führt uns Richtung Süden den Mehringdamm „bergauf“. Diese Straße trägt erst seit dem 31.07.1949 diesen Namen, nach dem Historiker und Publizisten Franz Mehring. Bis 1946 hieß sie  „Belle-Alliance-Straße“, ein ungewöhnlicher Name, dessen Bedeutung sich später noch klären wird.

Dass es tatsächlich leicht bergauf geht, merkt man vor allem, wenn man hier mit dem Fahrrad unterwegs ist. Links und rechts stehen prächtige Mietshäuser der Gründerzeit, zum Teil aufwendig saniert. Hinter den Vorderhäusern erstrecken sich oft mehrere Fabrik- oder Gewerbehöfe, in denen allerdings heute nur noch selten produziert wird.

Ein Blick hinein lohnt sich aber auf jeden Fall. Zum Beispiel an der   Hausnummer 53-57.  In dem weiträumigen Areal mit 3 Höfen, produzierte die Firma Sarotti von 1883-1913 Schokolade und exportierte sie in alle Welt. Heute werden die Räume von unterschiedlichen Firmen genutzt und auch ein Hotel ist hier ansässig.

Sarotti-Höfe, © Martina Hahn

Zurück auf den Mehringdamm, überqueren wir die nächste Kreuzung und biegen in die Kreuzbergstraße ein, noch ein paar Meter und wir stehen vor unserem eigentlichen Ziel – dem Kreuzberg. Mit seiner Höhe von 66,11 m über NN, ist er die höchste natürliche Erhebung in der Berliner Innenstadt. „Unnatürliche“ Erhebungen gibt es ja auch einige in der Stadt, wobei es sich um die sogenannten „Trümmerberge“ handelt. Kriegsschutt vom 2. Weltkrieg wurde von Trümmerbahnen abtransportiert und zu großen Hügeln aufgeschüttet. Später wurden sie bepflanzt und zum Teil als Park gestaltet.

Dieser echte Berg aber wurde bereits im Jahr 1290 in einer Schenkungsurkunde erstmalig erwähnt. Eine von Tempelrittern betriebene Lehmgrube, die sich am Hang des Berges befand, wurde damals den Berliner Franziskaner Mönchen übereignet. Im Laufe der Geschichte hatte der Berg verschiedene Namen, so z.B. Sandberg, Tempelhofer Berg, Runder Weinberg, Kurfürstlicher Weinberg. Berlin war tatsächlich einmal ein gar nicht so unbedeutendes Weinanbaugebiet. Nachweislich wurde auf dem Kreuzberg und den umliegenden Hügeln bereits ab  Mitte des 16. Jahrhunderts Wein kultiviert.

Die Kurfürsten förderten den Weinbau und im Jahr 1565 waren bereits 26 Weingärten und 70 Weinberge für Berlin verzeichnet, teils im Privatbesitz, teils aber auch staatlich betrieben. Die Berge boten auch beste Voraussetzungen für den Bau von Weinkellern, in denen die Weine gekeltert und gelagert werden konnten. Die Erträge waren so gut, dass man den Wein sogar bis nach Russland exportierte. Diese Erfolgsgeschichte ging leider im extrem harten Winter der Jahre 1739/1740 abrupt zu Ende, als ein Großteil der Reben erfror. In der Folgezeit ging der Weinbau immer mehr zurück, stattdessen wurden  die Hänge des Kreuzbergs für den Ackerbau genutzt und einige Windmühlen wurden errichtet. Darauf deutet heute allerdings  nichts mehr hin und wie ein kahler Sandberg sieht der Kreuzberg auch nicht aus – ganz im Gegenteil.

Wasserfall mit Denkmal, © Martina Hahn

Beginnen wir erst einmal den Aufstieg, denn von oben betrachtet, erschließt sich einem vieles besser.

Wir folgen einem leicht geschwungenen Weg nach oben, rechts von uns fällt mit sanftem Plätschern ein Wasserfall in ein Becken am Fuße des Berges. Schon nach wenigen Metern wird es merklich ruhiger. Von den umliegenden Straßen hört man kaum noch Verkehrsgeräusche, stattdessen jede Menge Vogelgezwitscher. Es geht zwar nicht steil bergauf aber dennoch spürt man die Steigung beim Laufen. Vom Weg führen immer wieder Abzweigungen zu kleinen Ruheplätzen direkt am Wasserfall ab.

Nach ein paar Biegungen unter schattenspendenden Bäumen kommen wir auf einen Platz direkt oberhalb des Wasserfalls und merken jetzt, dass wir tatsächlich schon ein ganzes Stück bergauf gekommen sind. Wenn wir nach unten schauen, tut sich eine richtige Sichtachse auf: Der Wasserfall, der unten in sein Becken fällt und in Verlängerung dazu, die schnurgerade Großbeerenstraße. Den Blick nach oben gewendet sehen wir, dass wir den Gipfel noch nicht ganz erreicht haben. Eine zweiarmige Freitreppe führt nach oben auf einen runden Kiesplatz, in dessen Mitte eines der bekanntesten Wahrzeichen Kreuzbergs steht – das Nationaldenkmal für die Befreiungskriege gegen die napoleonische Besatzung.

Neben großen Teilen Europas, hatte Napoleon ab 1806 auch Preußen besetzt. Eine Allianz aus Russland, Preußen, Österreich, Schweden und später auch Großbritannien kämpfte gemeinsam von 1813-1815 gegen die französische Besatzung. Nach dem Ende der Kampfhandlungen beauftragte der preußische König Friedrich Wilhelm III den Baumeister Karl Friedrich Schinkel mit der Planung eines Denkmals zum Gedenken der Gefallenen dieser Kriege und zur Erinnerung an die Siege.

Ursprünglich plante der Architekt einen riesigen, gotischen Dom, der aber aus Kostengründen nicht realisiert werden konnte. Stattdessen gestaltete Schinkel ab 1818 eine gestuft ansteigende, knapp 20m hohe Spitzsäule in neugotischen Formen. Dieses ganz in grün gehaltene Monument steht auf einem kreuzförmigen Grundriss und weist 12 spitzbogige Nischen auf. In den Nischen stehen Figuren, sogenannte Siegesgenien, die jeweils eine bedeutende Schlacht der Befreiungskriege symbolisieren. Sie wurden von den damals schon sehr prominenten Bildhauern Christian Daniel Rauch, Friedrich Tieck und Ludwig Wichmann geschaffen. Die Gesichtszüge der Genien ähneln Personen, die in den Befreiungskriegen eine wichtige Rolle gespielt haben, dies sind sowohl Mitglieder des Königshauses als auch der Generalität.

So sehen wir z.B. über der Inschrift „Wartenberg“ einen Genius in antiker griechischer Rüstung mit den Gesichtszügen des Grafen von Yorck. Der König selbst, in Herkules-Pose und mit einem Löwenfell bekleidet, steht für die Schlacht bei Kulm, dessen Sohn, der spätere König Friedrich Wilhelm IV verkörpert Großbeeren. Über der Inschrift „Paris“ sehen wir eine weibliche Figur. Das Antlitz ähnelt dem, der  bei der Bevölkerung sehr beliebten Königin Luise, die allerdings schon 1810, im Alter von nur 34 Jahren verstarb.

Noch eine weibliche Figur sehen wir über der Inschrift „Belle-Alliance“. Prinzessin Charlotte  personifiziert hier den Frieden, in ihrer linken Hand hält sie einen Ölzweig, den rechten Arm reckt sie mahnend nach oben. Beim genauen Betrachten erkennt man, dass in ihrem Gewand alle anderen 11 Genien noch einmal in Miniaturform eingearbeitet  sind. Belle-Alliance steht für die Schlacht bei Waterloo, ein Synonym für schmerzliche Niederlagen. In der kleinen Stadt Waterloo hatte der britische Oberbefehlshaber Wellington sein Hauptquartier aufgeschlagen um sich auf die entscheidende Schlacht gegen die französischen Truppen vorzubereiten. Unweit von Waterloo, an der Straße von Paris nach Brüssel, befand sich  ein Gasthaus mit dem Namen „Belle-Alliance“ (schönes Bündnis), von hier aus leitete Napoleon die Schlacht bei Waterloo.

Wie das Gasthaus zu seinem Namen kam, ist zwar nicht hundertprozentig belegt aber eine schöne Geschichte: 1765 heiratete hier ein junger Knecht die wesentlich ältere Wirtin des Hauses und die Kundschaft war so entzückt über diese „belle alliance“, dass die Gaststätte von da an diesen Namen trug.

Am 18. Juni 1815 fanden die Kämpfe zwischen britischen, preußischen und französischen Truppen direkt unterhalb der Gaststätte statt und nach der Niederlage Napoleons sollen sich der preußische Feldherr Blücher und Wellington hier gegenseitig zum Sieg gratuliert haben.

Während Wellington die Schlacht mit dem Ort seines Hauptquartiers, Waterloo, beschrieb, favorisierte Blücher den Namen „Belle-Alliance“, der nun, durch die siegreiche Koalition,  einen doppeldeutigen Sinn bekommen hatte. Weltweit setzte sich der Name Waterloo durch, nur im preußisch/deutschen Sprachgebrauch entschied man sich für „Belle-Alliance“. Das ehemalige Gasthaus steht übrigens noch.

Belle Alliance, © Martina Hahn

Das gesamte Denkmal, einschließlich aller Figuren, ist aus Eisenguss geschaffen, in der Königlichen Eisengießerei Berlin. Das war für die dortigen Künstler und Arbeiter eine enorme Herausforderung, denn in dieser Größenordnung hatte man bis dahin noch nichts gefertigt. Auch die Ruhebänke, die den runden Kiesplatz einfassen, sind aus Eisenguss.

Oben auf der Spitze des Monuments, erkennen wir ein gusseisernes Kreuz. Das ist es also, was erst dem Berg und später dem ganzen Bezirk seinen Namen gegeben hat!

1813 stiftete König Friedrich Wilhelm III so ein Kreuz als Auszeichnung für besondere Leistungen beim Militär und bei der feierlichen Einweihung des Denkmals, am 30. März 1821, erhielt der Berg nach diesem Kreuz den Namen Kreuzberg. Zum hundertjährigen Jubiläum des Denkmals wurde dann der 1920 gegründete Bezirk Hallesches Tor in  Kreuzberg umbenannt.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts dehnte sich die Bebauung der Tempelhofer Vorstadt, also das heutige südwestliche Kreuzberg, rasch aus. Durch eine dichte Mietshausbebauung rund um den Kreuzberg in den 1870er Jahren, wurde der Blick auf das Nationaldenkmal erheblich eingeschränkt und die Fernwirkung ging verloren. 1878 entschloss man sich daher, das Monument auf ein 8m hohes achteckiges Postament zu heben und es somit wieder besser sichtbar zu machen. Gleichzeitig wurde es mit seiner Hauptfront um 21 Grad nach Norden gedreht.

Das Sockelgeschoss unterhalb des Denkmals ist auch zu besichtigen. Von Zeit zu Zeit finden in dem ca. 1500 Quadratmeter großen Raum Führungen statt. In diesem Raum, der mit seinen Gewölben  an ein Kirchenschiff erinnert, ist es auch im Sommer relativ kühl und er eignet sich daher für die Lagerung von Kunstwerken. Die Gipsabdrücke der Siegesgenien, ein Abdruck der Quadriga vom Brandenburger Tor und das Original des Berliner Münzfries werden hier aufbewahrt.

Bis zum 01.08.2021 war zudem auch eine Ausstellung mit Werken des Künstlers Kurt Mühlenhaupt  zu sehen. In der kalten Jahreszeit finden hier keine Führungen statt denn dann dient das Sockelgeschoss verschiedenen Fledermausarten als Winterquartier. 17 Arten dieser streng geschützten Tiere leben in Berlin und im Sommer kann man sie zum Einbruch der Dunkelheit auch zahlreich hier am Kreuzberg beobachten.

Blick nach Norden, © Martina Hahn

Es gibt in Berlin zwar weit höhere Aussichtspunkte aber vom Kreuzberg aus hat man einen wunderbaren Rundumblick über die Stadt. Richtung Westen schaut man nach Schöneberg und Grunewald und kann sogar in der Ferne den Teufelsberg entdecken, einer der „unnatürlichen Berge“, mit den langsam verfallenen ehemaligen Abhöranlagen der Amerikaner. Drehen wir uns nach Norden sehen wir den Wasserfall, der am Fuße des Denkmals entspringt und 24m tief hinab fließt, in dessen Verlängerung, als Teil einer Sichtachse, die Großbeerenstraße.

Ein bisschen weiter östlich entdecken wir den alles überragenden Fernsehturm, den Gendarmenmarkt mit der französischen und der deutschen Kirche und das Hochhaus des Axel-Springer-Verlages. Kurz nach dem Mauerbau 1961 hatte Axel Springer beschlossen, sein neues Verlagshaus in Berlin direkt neben der Mauer zu errichten, als Zeichen für Presse- und Meinungsfreiheit. Oben auf dem Dach, war ein Glühlampenband installiert, auf dem die Ostberliner Bevölkerung immer die neuesten Westnachrichten ablesen konnten.

So ein Informationsband gibt es immer noch auf dem Hochhaus, heute aber mit modernen LED-Lampen. Seit 2008 heißt die Straße, in der das Springer-Hochhaus steht, Rudi-Dutschke-Straße. Alle Proteste seitens des Verlages dies zu verhindern, nützten nichts. Die Studentenbewegung von 1968 mit ihrem Anführer Rudi Dutschke und der Axel-Springer-Verlag – das ging gar nicht. Die einen waren stets das Feindbild der jeweils anderen, aber das ist eine andere Geschichte….

Drehen wir uns einmal zum südlichen Hang des Kreuzbergs, dann sehen wir einige alte rote Backsteinbauten. Es handelt sich um die ehemaligen Gebäude der Schultheiss-Brauerei. Angefangen hatte alles im Jahr 1829 als die Gebrüder Gericke die Lizenz erhielten, am Südhang des Kreuzbergs einen Vergnügungspark, den „Tivoli“ zu errichten. Nach dem Vorbild des Pariser Tivoli gab es Schaukeln, Schießbuden eine Gaststätte, Festsäle und als Hauptattraktion eine große „Kreisfahrbahn“, eine Art Riesenrutsche.

Nach der Schließung des Tivoli und dem Verkauf des Grundstücks errichtete die „Berliner-Brauerei-Gesellschaft Tivoli“ hier eine Brauerei, die 1857 in Betrieb ging. Auch hier konnten sich die Besucher bei Konzerten und Tanzveranstaltungen im Biergarten vergnügen. Die Brauerei wirtschaftete sehr erfolgreich, so dass sie im Jahr 1871 als größte Brauerei Berlins aufgeführt wurde. 1891 wurde die Tivoli-Brauerei von Schultheiss übernommen, die den ganzen Komplex erheblich vergrößerte.

Nun standen hier nicht nur die für das Bierbrauen notwendigen Gebäude, sondern zusätzlich zahlreiche Werkstätten, Lagerkeller, Abfüllanlagen und Ställe für 275 Brauereipferde. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die teils erheblichen Beschädigungen beseitigt und die Produktion wieder aufgenommen, jetzt aber immer mehr automatisiert. Bis 1993 wurde hier am Kreuzberg Bier gebraut, dann zog es Schultheiss in den günstigeren Ostteil der Stadt.

Das ganze Brauerei-Areal wurde an Investoren verkauft, die die mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Brauereigebäude sanierten und durch Neubauten mit Wohnungen, Büros und Ateliers ergänzten. Auch ein kleiner Weinberg wurde im Zuge der Umgestaltung wieder angelegt, dessen Reben man von hier oben  sehr schön sehen kann. Wein wird aus ihnen aber nicht gekeltert, sie sind zum Verzehr oder zur Zierde gedacht. Das Grundstück heißt jetzt Viktoria-Quartier, dabei bezieht man sich auf den uns umgebenden Viktoriapark.

Wenn wir uns hier oben umschauen sehen wir überall Grün. Bäume, Sträucher, Wiesen- und Rasenflächen – von einem kahlen Sandberg, wie der Kreuzberg ja früher auch einmal hieß, ist nichts zu sehen. Als das Denkmal im März 1821 enthüllt wurde, stand es tatsächlich noch auf einem Sandhügel. Die Stadt hatte zwar schon Pläne für eine dem Denkmal würdige Umgestaltung aber es mussten noch einige Jahrzehnte ins Land gehen, damit dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt werden konnte. Kurz nachdem das Denkmal auf den Unterbau gehoben wurde, legte Stadtgartendirektor Herrmann Mächtig erste Pläne für eine Parkanlage vor aber erst im Jahr 1888 wurde er mit der Neugestaltung beauftragt.

Brauereigebäude, © Martina Hahn

Der anfangs 8,4 ha große Park sollte einen gebirgsähnlichen Charakter bekommen, angelehnt an das Riesengebirge, ein damals bei den Berlinern beliebtes Urlaubsziel. Der Gartenarchitekt reiste eigens ins Riesengebirge um Felsformationen und Wasserfälle zu studieren, die nun hier im märkischen Sand nachgebaut wurden. Am östlichen Hang entstand die „Wolfsschlucht“ mit künstlichen Felsen aus Rüdersdorfer Kalkstein und bepflanzt mit unterschiedlichen Nadel- und Laubbäumen. Sanft abfallende Rasenflächen, nicht allzu steile Spazierwege mit genügend Ruhe- und Aussichtsplätzen und kleinere Bachläufe mit gebirgstypischer Vegetation,  sorgten für einen malerisch-romantischen Charakter.  Den Höhepunkt der Anlage bildet der uns bereits bekannte Wasserfall, der dem Zackelfall im Riesengebirge nachempfunden wurde. Diese Inszenierung steigerte noch einmal die Wirkung des Denkmals.

Der Viktoriapark entstand als 4. Berliner Volkspark im 19. Jahrhundert und erhielt seinen Namen zu Ehren der Kaiserin Viktoria, die Gattin Kaiser Friedrichs III, der nach nur 99 Tagen auf dem Thron, im März 1888 starb.

Zwischen 1913 und 1920 wurde der Park unter der Leitung des Gartenbaudirektors Albert Brodersen nach Westen hin erweitert. Großzügige Wiesen und Spielplätze wurden angelegt, sowie alleeähnliche, mit Ulmen und Pappeln gesäumte Wege.  1929-1930 erfolgte eine erneute Erweiterung durch die Gartenarchitekten Erwin Barth und Leo Kloss. Ganz im Sinne eines Volksparks wurden nun auch Sportplätze, Nutz- und Schaugärten, sowie ein Tiergehege angelegt. Heute hat der Viktoriapark eine Größe von ca. 13ha und zählt zu den kleineren öffentlichen Parkanlagen.

Weitläufige Wiesen, die auch als Liegewiesen genutzt werden dürfen, Sport- und Spielplätze, Spazierwege mit genügend Sitzbänken, ein Biergarten und nicht zuletzt die romantische Gebirgsatmosphäre, machen den Viktoriapark zu einem beliebten Naherholungsgebiet für die Kreuzberger Bevölkerung, die mit öffentlichen Grünflächen nicht allzu sehr verwöhnt ist.

Wenn wir für den Abstieg den östlichen Hang wählen, kommen wir noch an einer „Berghütte“ vorbei, in der man sich mit Kaffee und kalten Getränken versorgen kann. Noch ein paar Meter weiter unten, geschützt an einer Brandmauer an der Methfesselstraße, entdecken wir einen zweiten Weinberg, der „Senatsweinberg“, es handelt sich allerdings eher um einen Weingarten. Seit 1968 hat man hier die Tradition des Kreuzberger Weinanbaus wieder aufgenommen. Die Partnerstadt von Kreuzberg, Wiesbaden, schenkte dem Bezirk damals fünf Riesling-Rebstöcke vom Wiesbadener Neroberg. Die Partnerstadt Ingelheim am Rhein zog nach und schenkte Rebstöcke der Sorte Blauer Spätburgunder.

Blick nach Westen, © Martina Hahn

Im Laufe der 1970er Jahre kamen noch zahlreiche Reben dazu, so dass am bezirkseigenen Weinberg heute ca. 300 Reben wachsen. Bis 2019 wurden die weißen Trauben nach der Lese nach Wiesbaden gebracht. Dort wurden sie verarbeitet, gekeltert und kamen meistens in 0,37ml Flaschen als „Kreuz-Neroberger“ zurück nach Kreuzberg. Die roten gingen nach Ingelheim und kamen als „Kreuz-Ingelberger“ zurück. Seit 2020 spart man sich  die langen Transportwege und bringt die Trauben zur Weiterverarbeitung zu einem brandenburgischen Weingut, zwar verständlich, aber eine schöne Tradition ist damit auch zu Ende gegangen.

Den Kreuzberger Wein bekommt man in keiner Weinhandlung zu kaufen. Er dient dem Bezirk zu Repräsentationszwecken und wird gern als Geschenk überreicht. Wenn es ein gutes Weinjahr war, besteht aber die Möglichkeit, gegen eine Spende ein Fläschchen beim  Bezirksamt zu erwerben.

In einer großen Kurve gehen wir zurück Richtung Ausgangspunkt. Direkt an den Park angrenzend, auf der Kreuzbergstraße, sehen wir ein Haus, welches so gar nicht zu der umliegenden Bebauung mit Mietshäusern passt, zum gebirgsähnlichen Charakter des Parks aber sehr wohl. Für die mit der Pflege des Parks beauftragten Gärtner wurde 1892-1894 ein Wohn- und Dienstgebäude errichtet. Der Architekt Hermann Blankenstein entwarf eine eingeschossige, reich verzierte rote Backsteinvilla im Schweizer Landhausstil, die hervorragend mit Berg und Park korrespondierte.

Mit einer Pergola ist das Gärtnerhaus mit dem Maschinenhaus verbunden, welches bis heute die mittlerweile elektrisch betriebenen Pumpen für den Wasserfall beherbergt. Ebenfalls eingeschossig und mit einer Klinkerfassade versehen, ist es nicht ganz so aufwendig gestaltet wie das Gärtnerhaus. Dahinter befinden sich Tiergehege, die bereits 1925 dort angelegt wurden. Das Gärtnerhaus wird heute als Restaurant genutzt.

Wir schlagen den Weg Richtung Mehringdamm ein und am Becken, in dem der Wasserfall endet blicken wir noch einmal nach oben zu Schinkels Denkmal. Es sieht von hier fast so aus, als sei der ursprünglich geplante Dom zwar nicht gebaut worden aber zumindest steht seine Turmspitze hier.

Altweibersommer

ein Buch der Leiermann-Autorinnen und -Autoren.

Mit Texten zu einer besonderen Zeit.

 

Sommerfrische

Erholung und Reisen in früheren Zeiten

 

 

Verwendete Literatur
 1.  Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland
      Denkmale in Berlin, Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Ortsteil Kreuzberg
      Hrsg. vom Landesdenkmalamt Berlin, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2016
 
2.  Gartendenkmale in Berlin
     Parkanlagen und Stadtplätze
     Michael Imhof Verlag, Petersberg 2013
 
 3.  Henry Gidom, Berlin und seine Brauereien
      Edition Berliner Unterwelten im Ch. Link Verlag, 2016  

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