Der Goldene Saal
von Christian Schaller
Der Goldene Saal im Rathaus von Augsburg
Der Goldene Saal ist eine der Hauptsehenswürdigkeiten Augsburgs und seit seiner Entstehung vor vierhundert Jahren ein Besuchermagnet. Er ist das Herz des Rathauses und der gesamten Stadt. Der repräsentative Prachtraum mit seinen Fresken, Gemälden und Holzvertäfelungen erhielt seinen Namen durch die üppigen Vergoldungen. Insgesamt 2,6 Kilogramm Blattgold wurden in die Wände und die Decke eingearbeitet. Auf den ersten Blick verrät nur wenig, dass dieses Meisterwerk der späten Renaissance eigentlich eine Rekonstruktion ist, die ihrerzeit international für Aufmerksamkeit sorgte.
Der damalige Augsburger Stadtbaumeister Elias Holl begann die Bestandsaufnahme des alten gotischen Rathauses im Jahr 1609. Im Jahr 1624 war der Neubau mit der Innenausstattung endgültig abgeschlossen. Neben Planung und Konstruktion des Neubaus musste Holl auch die Finanzierung durch die Stadt und das Heranschaffen der Materialien bewerkstelligen. Als Renaissancearchitekt besaß er nicht nur facettenreiche bau- und ingenieurstechnische Kenntnisse – beispielsweise wusste er die gegebene schwierige Lage am Rand der Hochterrasse architektonisch wirkungsvoll für das Rathaus einzusetzen.
Der wuchtige Profanbau misst 45,05 auf 34,67 Meter, der Rathausfirst ist 43,98 Meter hoch. In seiner Dimension war dies einzigartig für eine Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und wird durch den von Holl erhöhten Perlachturm, den Neuen Bau und den Augustusbrunnen zusätzlich gerahmt. Durch die Betonung der Höhe, der Akzentuierung des zentralen Eingangs und die Reduktion des Fassadenschmucks formulierte Holl das Rathaus als neue städtebauliche Mitte und betonte die Stellung der Reichsstadt Augsburg.
An der künstlerischen Gestaltung des Rathauses lassen sich auch die Abstufungen räumlicher Exklusivität wiederfinden, welche bei einer frühneuzeitlichen Ratswahl ablesbar waren. Alle drei Etagen waren hierbei notwendig. Die Ratsherren wurden in den Sälen gewählt und zogen nachfolgend in die kleineren, privaten Stuben. Der Rat differenzierte als Auftraggeber des Neubaus diese beiden Raumtypen auch durch Medien und Formen.

Rathaus Augsburg, ©Leonid_Andronov
Im Unteren und Oberen Fletz und auch im Goldenen Saal wurden Steinmetzarbeiten, Bronzeskulpturen und Wandmalereien in Auftrag gegeben – Medien, die sich auch im öffentlichen Raum und an Außenfassaden finden ließen. Die exklusiven Stuben wurden mit traditionellen Innenraummedien wie Leinwandgemälden, Keramiköfen und Schreinerwerk ausgestattet.
Der Goldene Saal mit einer Grundfläche von 32,65 auf 17,35 Metern befindet sich über dem Unteren und Oberen Fletz und damit im Herzen des Rathausgebäudes. Die vier 12 auf 12 Meter großen und 5,5 Meter hohen Fürstenzimmer schließen sich direkt daran an. Der Goldene Saal gilt als einer der Höhepunkte der Renaissance-Innenraumgestaltung in Deutschland. Das kunsthistorisch als äußerst wertvoll eingestufte Gesamtkunstwerk der reichsstädtischen Kultur vereint die funktionale und bautypologische Tradition des bürgerlichen Rathauses und den Anspruch auf fürstliche Repräsentation zu einer integralen Einheit. Architektur und Dekoration unterscheiden den Goldenen Saal deutlich von älteren deutschen Ratssälen.
Die Dimension und Höhe sowie die stringente, homogene Systematik im formalen Aufbau und ikonografischen Programm waren im 17. Jahrhundert nördlich der Alpen neuartig. Nach der Schlichtheit der großformatigen Fassaden, der Fleze und der Treppenhäuser sollte der Goldene Saal überwältigend wirken. Das Bodenniveau des Goldenen Saales liegt auf Traufhöhe der umliegenden Gebäude und ermöglicht dadurch eine herausragende Belichtungssituation des stützenlosen Saales.
Das Bildprogramm thematisiert neben Groteskenfiguren und Portraits römischer und christlicher Kaiser in den unteren Wandzonen sowie den reichen Schnitzereien und Vergoldungen die ethischen Grundprinzipien des Gemeinwohls sowie die Kardinaltugenden, die sich um das zentrale Sapientia-Bildnis gruppieren. Das Rathaus erfuhr bis zu seiner Zerstörung 1944 zahlreiche Sanierungen, Restaurierungen, Veränderungen und bauliche Maßnahmen, beispielsweise wurde 1751 der Fußboden im Goldenen Saal ausgetauscht, 1894 wurde der gotische Wappenstein aus dem alten Rathaus in die Ostfassade integriert oder 1937 bis 1938 das Untergeschoss als Ratskeller ausgebaut.

Goldener Saal, ©ChristianSchaller
Der über zwei Stockwerke reichende Goldene Saal stellte durch seine bauliche Dimension, seine dekorative Ausstattung und sein ikonografisches Programm seit seiner Erbauung von 1615 bis 1620 bis zu seiner Zerstörung 1944 somit einen der Höhepunkte der deutschen Renaissance dar. Vom 25. auf den 26. Februar 1944, der Augsburger Bombennacht, brannte das Rathaus bis auf den Unteren Fletz nieder, vom Goldenen Saal blieben nur die Umfassungsmauern mit wenigen Freskenfragmenten übrig.
1956 wurde durch die Stadt ein Ideenwettbewerb ausgerufen, der zu keinem Ergebnis führte, jedoch eine Rekonstruktion des Repräsentationsraumes – trotz eines entsprechenden Entwurfes durch Erwin Schleich – einstimmig ablehnte und damit die prinzipielle Position der politisch Verantwortlichen und der Denkmalpflege klarstellte. Der verbrannte Goldene Saal erhielt 1960 einen Asphaltboden und eine unverputzte Wand. Die Fragmente der ursprünglichen Ausmalung blieben im Verputz sichtbar. Der damalige Oberbürgermeister Klaus Müller initiierte in der Folgezeit eine private Sammelaktion unter Augsburger GroßbürgerInnen, durch die einige Deckengemälde durch den im Dritten Reich populären Maler Oskar Martin-Amorbach rekonstruiert, allerdings nicht im Saal angebracht wurden. Während diese eigenmächtige Aktion zunächst wirkungslos blieb, stieß sie dennoch eine langanhaltende, kontroverse und emotional geführte öffentliche Diskussion an.

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Klaus Müller gründete 1975 den Verein zur historischen Wiederherstellung des Goldenen Saals, 1978 veranstaltete die Stadt Augsburg ein internationales Kolloquium zum Wiederaufbau. In diesem wurden bereits praktikable Handlungsanweisungen für eine reale Rekonstruktion erwartet. Auf der Basis der vorhandenen Dokumentation, vor allem der Farbfotografien von 1943, und unter Leitung des Wiener Architekten Alois Machatschek wurde bis 1985 die erste Bauphase vollendet – dies beinhaltete den Einbau der Holzdecke sowie die Anbringung der farblich korrigierten Amorbach-Kopien.
Bis 1996 wurden die Fresken ergänzt und die vergoldeten Holzskulpturen auf die Portale gesetzt. Das Augsburger Rathaus und die Rekonstruktion des Goldenen Saales müssen im europäischen Rahmen gesehen und bewertet werden. Die Diskussion um die Art und Weise des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit und die Rolle der Denkmalpflege sind dabei ebenso relevant wie die Einschätzung der Fachleute und Bevölkerung vor Ort. Die städtebauliche Bedeutung und die Tilgung der Zerstörung stand nie außer Frage, die Anteilnahme und Bindung der AugsburgerInnen war spürbar.
Ausgehend von der vorhandenen Dokumentation des Vorkriegszustandes und angesichts der obersten Zielvorstellung einer möglichst perfekten Kopie wurde zunächst ein Entwurf samt Kostenschätzung durch die zuständigen Behörden und Sachverständigenkommission als Entscheidungsgrundlage für den Stadtrat erstellt. Sukzessive wurden die Schreiner- und Schnitzarbeiten an der Decke und den Portalen, die Beschläge der Portale, die Wiederherstellung des Steinfußbodens, der vergoldeten Schnitzereien, der Figuren sowie der Tafelbilder und Fresken durchgeführt. Bis zur feierlichen Eröffnung 1996 dauerten die Arbeiten 17 Jahre.

Rathaus und Perlachturm, ©manfredxy
Laut ausführendem Architekten Machatschek sei das Ziel ein Erreichen einer möglichst perfekten Kopie und eines Gesamteindruckes, der jedoch niemals das originale Zeugnis der Geschichte wiederherstellen wolle – vielmehr bezeuge es den Umgang der AugsburgerInnen mit seinen ererbten Denkmälern sowie das Können der beteiligten Augsburger Handwerker und Künstler. „Die Geschichte der Wiederherstellung des Goldenen Saales bleibt jedenfalls ein höchst lehrreiches Beispiel für Theorie und Praxis nicht nur der bayerischen Denkmalpflege, die sich am Ende des 20. Jahrhunderts vor neue Herausforderungen gestellt sieht.“
Der anlässlich der 2000-Jahr-Feier 1985 rekonstruierte Goldene Saal wird als eine „Krönung“ der Anstrengungen von Stadtverwaltung und Bürgern für Denkmalpflege und Stadterneuerung wahrgenommen. Die Fassade des Rathauses blieb als wichtiger Bestandteil des Stadtbildes ebenfalls in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild bestehen. Die Renovierung des Innenbereichs erfolgte jedoch in einfacher, purifizierter Form. Der Stadtbaurat Walther Schmidt stattete den ehemaligen Goldenen Saal bis 1960 mit einem Asphaltboden und einer unverputzten Wand aus. Die Fragmente der ursprünglichen Ausmalung blieben im Verputz sichtbar. Diese bescheidene, an die Zerstörung erinnernde Raumlösung ging bei der ab 1980 durchgeführten Rekonstruktion verloren.
Den darüberliegenden Ratssitzsaal gestaltete er ebenfalls purifiziert: Die kassettierte Decke und die kannelierten Stützen formulierten Motive Elias Holls in zeitgenössischer Formensprache. Die Wiederherstellung des Rathauses zwischen 1947 und 1962 lenkte das öffentliche Interesse auch auf den davor liegenden Ludwigsplatz. Die Stadt Augsburg schrieb 1954 einen nationalen Wettbewerb für dessen Neugestaltung aus, der eine langanhaltende Diskussion um die Bebauung anstieß. Die Kriegsruine des Börsengebäudes und die spätere Baugrube ermöglichten der Bürgerschaft erstmalig eine freie Sicht auf die Rathausfassade. Im Jahr 1960 gründete sich das Komitee „Freier Rathausplatz“, 1963 entschied sich der Stadtrat gegen eine Bebauung und für die Anlage des Platzes in seiner heutigen Form.
Rathausplatz 2
86150 Augsburg
geöffnet Montag – Sonntag von 10 – 18 Uhr,
Standard-Eintrittspreis für den Goldenen Saal: 2,50 Euro

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Verwendete Literatur
Baer, Wolfram / Kruft, Hanno-Walter / Roeck, Bernd (Hg.): Elias Holl und das Augsburger Rathaus. Regensburg 1985.
Paul, Jürgen: Der Goldene Saal des Augsburger Rathauses und die Bautradition des Ratssaales. In: Kießling, Hermann: Der Goldene Saal und die Fürstenzimmer im Augsburger Rathaus. Eine Dokumentation der Wiederherstellung. München, Berlin 1997, S. 15-21.
Petzet, Michael: Grundsätzliche Überlegungen zur Rekonstruktion des Goldenen Saales. Kießling, Hermann: Der Goldene Saal und die Fürstenzimmer im Augsburger Rathaus. Eine Dokumentation der Wiederherstellung. München, Berlin 1997, S. 25-27.
Schmid, Alfred: Rekonstruktion – Wiederherstellung – Restaurierung. In: Kießling, Hermann: Der Goldene Saal und die Fürstenzimmer im Augsburger Rathaus. Eine Dokumentation der Wiederherstellung. München, Berlin 1997, S. 3-13.
Wolf, Barbara: Goldener Saal im Rathaus, Augsburg. In: Nerdinger, Winfried (Hg.): Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. Kat.Ausst. München (TU München in der Pinakothek der Moderne) 2010. München 2010, S. 319-320
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