1. Der Gardasee – ein Traumziel
von Anja Weinberger
1. Der Gardasee – ein Traumziel
von Anja Weinberger
Sollte ich zählen, wie viele Male ich schon am Gardasee war, so bräuchte ich deutlich mehr Finger als die meiner beiden Hände. An keinem Urlaubsziel waren wir schon so oft und nirgendwo sonst verfällt man so schnell dem „Süden“.
Aber auch nirgendwo sonst ärgert man sich so oft über die vielen, vielen anderen, die immer gerade da sind, wo man selbst sein möchte. Und auch nirgendwo sonst und eben nur hier verfüge ich über diese dermaßen starke rosa Brille, die es mir ermöglicht, über genau solche Ärgernisse hinwegzusehen. Nur hier kann ich mir die viel zu vielen Autos und Motorräder einfach wegdenken und die vielen Urlauber übersehen, die anscheinend nur zum Eis, Pizza und neuerdings Aperol genießen an den Gardasee kommen. Und schließlich ist nur hier ein und derselbe Blick über den See immer wieder anders, immer wieder wunderschön und wie ein erstes Mal.
Da stellt sich doch die Frage: Was genau ist es eigentlich, das den Lago di Garda oder den Benaco, wie er auf Italienisch auch heißt, zu etwas dermaßen Besonderem macht? Wieso lockt er nun schon Generationen von Italien-Touristen über den Brenner bis an seine Gestade?

Etschtal und Bozen, © onkelglocke
Jedes Wetter hat am Gardasee seinen Reiz: Bei starkem Wind sausen die Surfer über die Wasseroberfläche, bei Flaute stehen die bunten Segel ganz still und schwanken nur ein wenig im Gleichklang mit den Wellen; bei Regen wird das Wasser dunkelgrau und die Oberfläche zu einem einzigen großen Spielplatz der fallenden Tropfen; bei Sonnenschein schließlich flirren die Blätter der südlichen Bäume mit der Gischt der dann nur kleinen Wellen um die Wette.
Ein recht seltenes Phänomen ist ein Regenbogen über dem See, aber falls einer zu sehen ist, steht das Leben für ein paar Minuten still: Alle schauen und staunen. Im Gegensatz dazu gibt es recht häufig starke Gewitter mit vielen Blitzen und einem Donnergrollen, das sich an den den See umgebenden Bergen bricht – äußerst eindrucksvoll auch deshalb, weil man relativ weit schauen kann, denn wo der See ist, kann ja nichts anderes sein, das den Blick stört – wirklich ganz großes Theater.
Vermutlich trifft all das auf beinahe jeden größeren See zu, aber hier ist es einfach … noch viel schöner.
In einer losen Abfolge von Texten möchte ich gerne genauer darüber nachdenken, was mich immer wieder hier hinzieht, was mich besonders beeindruckt, was noch zu erkunden wäre und vielleicht auch, wo es noch ganz ruhige, bis jetzt unentdeckte Ecken [1] gibt. Und ich lade herzlich dazu ein, an meinen Streifzügen teilzunehmen.
Beginnen wir in lang vergangenen Zeiten. Parallel zum Gardasee verläuft das Tal der Etsch, die im Italienischen Adige genannt wird. Nachdem das Flüsschen am Reschenpass in Südtirol entsprungen ist, fließt es durch den Vinschgau und den Meraner Talkessel, um sich bei Bozen mit der Eisack zu vereinen. Ab hier ist die Etsch der große Fluss, den wir kennen und der in Jahrtausenden das breite Tal formte, durch das in unseren Tagen die Brennerstraße führt. Vom Norden in den Süden und umgekehrt hat dieser Weg schon viel gesehen, auf ihm begegnete sich die römische und die germanische Welt.
So kommt es, dass eine Stadt wie Trient mitten im Gebirge wachsen konnte. Und Verona am Ausgang des Etschtales wurde auch bedingt durch seine Lage zu einer der mächtigsten Stadtrepubliken Italiens. Die Dritte im Bunde dieser schönen Städte in der Nähe des Gardasees ist Mantua, nur ein wenig südlicher gelegen.
Eine sehr bewegte Geschichte liegt hinter diesem heute so friedlichen, beschaulichen Teil Italiens.

Seeufer Gardasee, © Peggy_Marco
Im Vergleich zu anderen Gegenden Europas erst recht spät besiedelt, war Oberitalien zunächst die Heimat indogermanischer und altmediterraner Völker. Etrusker, Kelten, Römer, Vandalen, Langobarden, Karolinger folgten und hinterließen ihre Spuren. Es entstanden die Stadtrepubliken mit ihren Signorien und das Geschehen gipfelte im großen Krieg zwischen Venedig und Mailand. Napoleon ließ schließlich die Italienische Republik ausrufen und nach seinem Untergang fiel Oberitalien zum Großteil an die habsburgischen Kaiser in Wien. Verdis Nabucco ließ bald italienische Herzen höherschlagen und „Il Risorgimento“, also die Wiedergeburt des italienischen Nationalstaates gelingt unter der Krone der Könige von Piemont. Der 1. Weltkrieg , der ausbrechende Nationalismus, der 2. Weltkrieg und heute wieder die Republik – das Land, in dem die Zitronen blühen, hat schon viel gesehen. [2]
Entscheidend für die Entstehung des Gardasees und seiner Umgebung ist hauptsächlich die letzte Eiszeit, die vor ungefähr 10 000 Jahren zu Ende ging. Die Alpen hatten sich schon 60 Mio. Jahre zuvor aufgefaltet. Das Zusammenspiel dieser beiden Großereignisse formte schließlich das heutige Landschaftsbild. Da es südlich der Alpen schon immer wärmer war, als im Norden, schmolzen die vordringenden Gletschermassen beim Eintritt in die Poebene und hinterließen ihre Moränen. Diese Moränen versperrten die Talausgänge und stauten das nachkommende Schmelzwasser auf – die norditalienischen Seen waren entstanden.
Durch die großen Wassermengen der Seen ist das Klima in Ufernähe wesentlich mediterraner, als nur wenige hundert Meter entfernt. Sofort beginnt an den etwas höheren Hängen wieder die für die Alpen typische Gebirgsflora. Da der Gardasee der größte der oberitalienischen Seen ist, ist dieses Phänomen hier am ausgeprägtesten. Hibiskus, Oleander, Eukalyptus und vor allem der Olivenbaum sorgen für ein unverwechselbares Erscheinungsbild.

Gardasee, © Michelle_Raponi
Und einen weiteren wichtigen Aspekt stellt die Tatsache dar, dass der Gardasee immer zweigeteilt war. Im Süden gab es die Häfen, die schon außerhalb der Bergregion liegen und an der nördlichen, viel schmaleren Seespitze Städtchen wie Riva, quasi noch in der Gebirgslandschaft angesiedelt. Dazwischen erstrecken sich auf beiden Seeseiten von Gletschern glatt geschliffene Berghänge, die an der Ostseite etwas flacher, an der Westseite senkrecht in den See abfallen.
Lange Zeit konnte lediglich der Schiffsverkehr die Südspitze des Sees mit seiner Nordspitze verbinden und eine große Anzahl Dörfer am Ufer waren nur vom Wasser aus zu erreichen. Diese eher schwierig zu nennenden Verkehrs- und Ortsbedingungen haben eine ausgeprägte Garten- und Villenkultur wie zum Beispiel am Comer See verhindert. Dadurch ist der Gardasee viel nahbarer, sein Ufer beinahe überall erreichbar; und sollte man glücklicher Besitzer eines Bootes sein, so kann man nahezu überall anlanden.
Heutzutage existiert natürlich längst eine Straße rund um den See, die sogenannte Gardesana. Ihr Bau war ein einziges Abenteuer, allein auf der westlichen Seite gibt es mehr als 70 Tunnel und Galerien.
Auf dieser ungewöhnlichen Straße und ihren Abzweigungen kann man viele kleine und größere Orte erreichen, Dörfer in den Bergen, Wallfahrtskirchen, schön gelegene Kellereien und natürlich all die Orte am See, deren Namen die Sehnsucht schüren. Limone, Malcesine, Sirmione, Riva, Torbole, Bardolino, Torri del Benaco, Garda und viele andere.
Überall dorthin soll es nun bald gehen.
Fußnoten
1 … Genau genommen ist das schon das erste Stolpersteinchen, denn unentdeckte Ecken werden auf diesem Wege schließlich zu entdeckte Ecken, die von vielen gefunden werden. Ob ich das möchte?
2 … Selbstverständlich ist das eine äußerst ungenaue und oberflächliche Zusammenfassung der Geschehnisse. An dieser Stelle soll uns das jedoch genügen
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