Der Augsburger Dom
von Christian Schaller
Der Hohe Dom zu Augsburg
Während viele historische Altstädte von einer mächtigen Kathedrale geradezu dominiert werden, erscheint der Augsburger Dom geradezu versteckt im Norden der Altstadt. Nichtsdestotrotz spielt er eine zentrale Rolle in der über zweitausendjährigen Stadtentwicklung, prägte die Stadtgesellschaft maßgeblich über Jahrhunderte hinweg und präsentiert sich heute als ein kunsthistorisches Monument ersten Ranges, dessen reiche Schätze einen Einblick in jede historische Epoche von der Stadtgründung unter den Römern bis in die Gegenwart geben.
Der Augsburger Dom beziehungsweise Hoher Dom Mariä Heimsuchung ist die Kathedrale des Bistums Augsburg und eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Das heutige Domviertel befindet sich auf dem Areal des antiken Augsburgs, der römischen Provinzhauptstadt Augusta Vindelicum. Im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter bestand die Siedlung kontinuierlich an gleicher Stelle weiter, wenn auch in sehr viel kleinerem Maßstab als noch im ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus.
Während das Forum und damit der Mittelpunkt der römischen Stadt etwas weiter im Osten, unter dem heutigen Gelände der Benediktinerabtei St. Stephan, lagen, wurde der Bereich um den Dom nach den Wirren der Völkerwanderungszeit zu einem neuen Nukleus der Stadtentwicklung. Das mittelalterliche Augsburg wuchs vom Domviertel aus entlang der alten Römerstraße Via Claudia in Richtung Süden. Dort siedelten sich bis zum Hochmittelalter immer mehr Kaufleute und Handwerker an und bildeten so über Jahrhunderte langsam das neue, bürgerliche Herz der zukünftigen Reichstadt Augsburg. Noch heute ist die längliche Form der Altstadt und ihr Verlauf in Nord-Süd-Richtung gut erkennbar.
Auch wenn die Domburg eine zentrale Rolle für die Stadtentwicklung spielte, ist vieles im Dunkel der Zeit verloren gegangen. So ist es bis heute nicht bekannt, wann der erste Bischof im spätrömischen Augsburg wirkte oder wann Vorgängerbauten der Kathedrale überhaupt entstanden. Die erste historisch fassbare Kathedrale in Augsburg wurde um das Jahr 807 durch Bischof Simpert geweiht, einem Verwandten Karls des Großen und heute einer der Bistumspatrone und Stadtheiligen von Augsburg. Von diesem karolingischen Simpertdom hat sich bis heute nur die innere Krypta erhalten.
Nach einem Brand im 10. Jahrhundert sowie größeren Einstürzen um 994 wurde ein neuer Bau begonnen, der nach wie vor den Kern der heutigen Anlage darstellt. Finanziert wurde die neue Kirche durch Kaiserin Adelheid, der Ehefrau Ottos des Großen, der im Jahr 955 die epochemachende Schlacht auf dem Lechfeld vor Augsburg gewonnen hatte. Diese gewestete, dreischiffige, romanische Pfeilerbasilika ist bis heute erhalten, wurde über die folgenden Jahrhunderte aber stetig erweitert und ausgebaut. Erst 1065 erfolgte die offizielle Weihe, um 1135 wurden die kunsthistorisch bedeutsamen Prophetenfenster kreiert, bald danach wurde die Krypta erweitert.
Im 14. Jahrhundert erfolgte der Umbau im gotischen Stil unter dem reichen Domkustos Konrad von Randegg. Die bis dahin nach Westen ausgerichtete Kirche erhielt einen Ostchor sowie ein gotisches Nord- und Portal. Erst 1431 wurde dieser neue Chor geweiht. Der Dom ist heute 113 m lang, 40 m breit und seine Türme sind 62 m hoch.
Im Jahr 1537 fand der reformatorische Bildersturm in Augsburg statt, dem auch viele Kunstwerke der Domkirche anheimfielen. Von 1852 bis 1863 erfolgte im Sinn des damaligen Historismus eine neugotische Umgestaltung, während 1934 eine erneute Rückführung in den mittelalterlichen Zustand erfolgte.
1962 wurde im Zuge der Kirchenreform ein neuer Hochaltar von Josef Henselmann erschaffen. Im Jahr 2016 wurde im südlichen Seitenschiff ein neu gestalteter Sakramentsaltar von Wilhelm Huber eingeweiht, auf dem die bedeutende Barockskulptur des leidenden Christus mit der Dornenkrone von Georg Petel, dem sogenannten „deutschen Michelangelo“ einen neuen Platz fand.

Bischofsgalerie mit dem Hirn’schen Grab, ©ChristianSchaller
Ähnlich wie der Domvorplatz ist auch das Innere der Kirche durch ein einzigartiges und faszinierendes Zusammenspiel aller historischen Epochen geprägt – von römischen und frühmittelalterlichen Spolien bis hin zum schlicht-modernen Granitaltar aus dem 21. Jahrhundert.
Während sich im gesamten Kirchenraum freigelegte, ottonische Mäanderfriese und Wandmalereien finden lassen, beeindruckt vor allem der gigantische Christophorus von 1491 am Eingang im südlichen Seitenschiff. Die Darstellung des Patrons der Reisenden dürfte die größte erhaltene ihrer Art sein.
Auch die zahlreichen Glasfenster lohnen einen näheren Blick: vom gotischen Salomofenster im Südquerhaus um 1340, dem Passionsfenster in der Gertrudkapelle aus dem Jahr 1420 oder dem spätgotischen Marienfenster im Nordschiff von 1480/90 bis hin zu Josef Oberbergers Glasgemälden aus den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts oder den modernen Parusie-Fenstern Johannes Schreiters im Westchor bieten sie ebenfalls Einblick in fast alle Epochen der Glaskunst. Besonders erwähnenswert sind die romanischen Prophetenfenster im südlichen Obergaden. In ihrer strengen Frontalität wirken sie würdevoll und entrückt.
Die fünf Figuren aus dem Alten Testament – Jona (im geöffneten Walfischmaul), Daniel, Hosea, König David und Moses – bilden die erhaltenen Überbleibsel eines einst wohl 24 Glasgemälde umfassenden Zyklus. Damit sind sie die frühesten Glasgemälde des europäischen Mittelalters und einer der ältesten erhaltenen Glasgemäldezyklen der Welt. Sie enstanden wohl um 1135, allein das Moses-Fenster ist eine rekonstruierende Nachschöpfung aus der Zeit um 1550, in der sich noch originale Bestandteile befinden.

Westkrypta im Augsburger Dom, ©ChristianSchaller
In der tausendjährigen Krypta befinden sich auf zwei Ebenen wertvolle mittelalterliche Fresken sowie frühmittelalterliche Steinornamente, die noch vage an keltische Kultureinflüsse erinnern. Im Westchor über der Krypta befindet sich einer der wenigen erhaltenen romanischen Bischofsthrone aus Stein. Im gotischen Chorumgang im Osten finden sich wertvolle Altäre und kunsthistorische Schätze in den zahlreichen Kapellen, wovon vor allem das Bronzegrabmal des Wolfhard von Roth in der Konradskapelle zu erwähnen ist.
Dieser 1302 verstorbene Bischof ließ seinen Sarkophag mit einer naturalistischen Darstellung von sich herstellen, womit er der erste Augsburger überhaupt ist, dessen Gesichtszüge wir kennen. Bei dem Hochrelief handelt es sich nicht nur um die früheste Wiedergabe eines im Ornat bekleideten Toten im deutschsprachigen Raum, durch die Gravur „Otto machte mich in Wachs, Cunrat in Erz“ sind auch die ersten Augsburger Künstler namentlich bekannt. Von der beeindruckenden Bischofsportraitgalerie mit dem spätgotischen Hochgrab des Ehepaars Hirn führt der Weg direkt in die barocke Marienkapelle in strahlendem Weiß und Rosa. Der benachbarte Kreuzgang mit seinem Garten bietet nicht nur einen Ort der Ruhe, sondern war auch über Jahrhunderte die Grablege von zahllosen Augsburger Bürgern.
Das direkt daran anschließende Diözesanmuseum St. Afra ist das zentrale Museum der Diözese Augsburg. Der Haupteingang liegt im Augsburger Domviertel direkt hinter dem Dom, jedoch ist auch ein Zugang über den Kreuzgang möglich. Die Eröffnung erfolgte im Jahr 2000, seitdem präsentiert das Diözesanmuseum sakrale Kunst aus 17 Jahrhunderten. Eingebettet zwischen gotischem Domkreuzgang, romanischem Kapitelsaal des alten Domklosters und Resten des karolingischen Domes empfängt das Museum mit einer modernen Fassade die Besucher. In den teils historischen, teils neu geschaffenen Räumen beherbergt das Museum eine weitgefächerte Auswahl bedeutender Kunstwerke aus den verschiedensten Epochen und Gattungen der seit 1872 bestehenden Sammlung.
Die Ausstellung informiert auch über den Augsburger Dom und die Geschichte des Bistums. Mit seinem umfangreichen Bestand an Augsburger Goldschmiedearbeiten in Form von liturgischen Geräten und Reliquiaren nimmt das Museum auch die Funktion einer Domschatzkammer wahr. Daneben finden sich Kunstwerke von europäischer Bedeutung, wie die Ulrichsgewänder aus dem 10. Jahrhundert, das einzigartige ottonisch-romanische Bronzeportal des Domes oder die Funeralwaffen Kaiser Karls V., die die Rolle der Kirche als einer der wichtigsten Auftraggeber und Kunstförderer vermitteln.
Öffnungszeiten des Hohen Doms zu Augsburg
täglich geöffnet von 7:00 bis 18:00 Uhr
– während der Gottesdienste ist keine Besichtigung möglich
Öffnungszeiten des Diözesanmuseums St. Afra
Dienstag – Samstag von 10:00 – 17:00 Uhr
Sonntag und Feiertage 12:00 – 18:00 Uhr,
Montags und an ausgewählten Feiertagen geschlossen
URL: https://www.museum-st-afra.de/

Augsburger Dom, ©ChristianSchaller
Verwendete Literatur
- Kaufhold, Martin (Hg.): Der Augsburger Dom im Mittelalter. Augsburg 2006.
- Rummel, Peter (Hg.): Das Diözesanmuseum St. Afra in Augsburg. Kat.Mus. Augsburg, Diözesanmuseum St. Afra 2000.
- Schmid, Michael Andreas (Hg.): Die Glasgemälde im Augsburger Mariendom. Lindenberg im Allgäu 2015.
- Schmid, Michael Andreas: Der Hohe Dom zu Augsburg Mariä Heimsuchung. Lindenberg im Allgäu 2013.
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