Kulturgeschichte des Wiener Schnitzels
von Thomas Stiegler
Im Jahre 1848 rumorte es in Europa. An allen Ecken des Kontinents gab es Aufstände gegen die angestammten Herrscher und diese suchten mit allen Mitteln, dem Unmut der Untertanen Herr zu werden.
Aber die Gedanken der Freiheit und politischen Mitbestimmung, von der Französischen Revolution einmal in die Köpfe der Menschen gesetzt, ließen sich auch durch die stärksten Repressionen nicht mehr unterdrücken.
Auch in Italien erhob sich das Volk, aber hier nahm der Kampf noch eine besondere Färbung an.
Denn die Apenninen-Halbinsel, einst stolzes Kerngebiet des Römischen Reiches, war in kleine und kleinste Herrschaftsgebiete zersplittert und nur mehr ein Spielball in den Händen ausländischer Mächte.
Im frühen 19. Jahrhundert begann deshalb der Gedanke des „Risorgimento“, also der Vereinigung der eigenständigen Fürstentümer und Regionen Italiens zu einem unabhängigen Nationalstaat, um sich zu greifen.
1848, im Gefolge der europaweiten Unruhen, schien der Zeitpunkt gekommen, diese Pläne in die Tat umzusetzen.
Der Kampf begann im Süden als Aufstand gegen die Bourbonen und griff bald auch auf die nördlichen, von den Habsburgern besetzten Teile des Landes über. Von Mailand und Venedig ausgehend erhob sich das Volk und nach kurzer Zeit mussten sich die österreichischen Truppen in ihre Festungen zurückziehen.
Doch innerhalb eines Jahres sollte sich das Blatt vollständig wenden.
Die Habsburger unterdrückten nicht nur die Unruhen in ihren Kernländern, sondern auch die Aufstände der Italiener wurden niedergeschlagen.
Dadurch fiel die Lombardei endgültig an das Kaiserreich Österreich und Franz Joseph I. setzte den siegreichen Feldmarschall Graf Radetzky als Generalgouverneur von Lombardo-Venetien ein.
Während seiner Zeit dort soll Radetzky auch das „Cotoletta alla milanese“ kennengelernt haben, das Mailänder Kotelett, das im 15. Jahrhundert entstanden ist.
Er schien davon so begeistert gewesen zu sein, dass er am Rande eines militärischen Berichts eine Notiz an den Kaiser schickte und bei seiner nächsten Audienz um das Rezept gebeten wurde.
Franz Josephs Leibkoch änderte das Rezept ein wenig ab und verwendete anstatt des Koteletts saftige Stücke vom Kalb und anstelle von Weißbrot die in Wien so geliebten Semmelbröseln.
Der Kaiser, dem das Gericht schließlich serviert wurde, war davon so begeistert, dass es sogleich Eingang in die Speisenfolge des Hofes fand und von hier aus das ganze Kaiserreich eroberte.
So schön diese Geschichte auch klingt, so ist sie, wie viele andere in diesem Buch, leider nicht wahr.
Denn in Wirklichkeit wurden schon lange vor Radetzky verschiedenste Teile vom Schwein oder Rind paniert und in reichlich Fett gebacken.
Wenn man sich auf die Reise macht und der Geschichte des Gebackenen nachspürt, dann muss man sehr weit zurückgehen.
Denn der Ursprung der Panier beginnt schon in dem Augenblick, in dem die Menschen gezwungen waren, die Reste ihrer Speisen wiederzuverwerten, also schon lange vor unserer Zeitrechnung.
Um etwa altes Brot nicht zu verschwenden, wurde es zu Bröseln gerieben und als Grundlage für verschiedenste Speisen benutzt.
Die ersten Spuren von gebackenem Fleisch finden wir dann im Konstantinopel des 12. Jahrhunderts, wo sich diese Speise großer Beliebtheit erfreute.
Aber das Ergebnis war sicher nicht mit dem zu vergleichen, was wir heute unter einem Wiener Schnitzel verstehen. Denn dazu waren das verwendete Fleisch, die Art der Panier und vor allem die Kunst des Backens nicht so vollendet, wie wir sie heute kennen.
Einige Zeit später, am Ende des 15. Jahrhunderts, befinden wir uns bei unserer Suche wieder im Norden Italiens.
Unter den Adeligen dieser Zeit war es Mode, ihre Speisen mit Blattgold zu verzieren. Dies geschah einerseits aus medizinischen Gründen, da die Ärzte Gold als Heilmittel für das Herz ansahen, hauptsächlich aber, um den eigenen Reichtum zu demonstrieren.
Als dieser Brauch immer größere Ausmaße annahm und damit immer mehr Gold wortwörtlich „verfressen“ wurde, entschloss sich der Rat von Venedig, ihn zu verbieten.
Deshalb suchten die Köche verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Fleisch weiterhin golden schimmern zu lassen und erinnerten sich an eine Technik, die sie in Byzanz kennengelernt hatten, nämlich das schon beschriebene Panieren.
So sollte sich diese Technik von den Küchen Venedigs aus innerhalb weniger Jahrzehnte über den gesamten mitteleuropäischen Raum verbreiten.
Vor allem die Wiener zeigten sich dabei als begeisterte Adepten dieser neuen Art der Zubereitung und bald waren sie in ganz Europa dafür bekannt, alles zu panieren und zu backen, was man sich nur vorstellen kann, von Kalbsfüßen über Innereien bis hin zum Schweif vom Rind.
Dabei findet sich in den Wiener Kochbüchern das in Brösel gebackene Schnitzel erst relativ spät, und zwar im „Nutzlichen Koch-Buch“ des Ignanz Gartler aus dem Jahre 1740, der ein „kälbernes Schnitzel mit Parmesan-Käß und Semmel-Schnitten“ erwähnt.
Was natürlich auch ein Zeichen dafür sein kann, dass den Wienern dieses Gericht so geläufig war, dass man es gar nicht nötig fand, es schriftlich zu fixieren.
Auf jeden Fall ist es heute so, dass, obwohl in ganz Europa Gebackenes auf den Tisch kam, gerade das Wiener Schnitzel so bekannt ist.
Das verdankt sich vielleicht auch einer Geheimzutat. Denn statt der gewöhnlichen Brösel verwendeten die Wiener von Anfang an für ihre Panier Brösel aus der geliebten Kaisersemmel.
So lasst es euch schmecken und reiht euch ein in das Heer der Schnitzelliebhaber, zu dem auch unser alter Kaiser Franz Joseph gehörte.
„… als wir von Gmunden in die Ebene kamen, hellte sich der Himmel auf, und wir kamen bey schönstem Wetter in Lambach an, wo wir uns Schnitzel machen ließen, welche wir mit dem größten Appetit verzehrten“.
So schrieb es der damals vierzehnjährige Erzherzog in sein Tagebuch und genauso sollten wir es auch machen. Eine Wanderung in der wunderschönen Steiermark und als Abschluss ein goldenes Schnitzel bei einem der zahlreichen Wirte dieses wahrhaft gesegneten Landes.

Kulturgeschichten zum Kaffee
von Thomas Stiegler
Süddeutsche Küche
Anekdoten, Rezepte und mehr – von Christian Schaller
Rezept:
Kalbsschnitzel zu je 150 – 180 g
2 Eier
Griffiges Mehl
Semmelbrösel
Salz
Reichlich Butterschmalz oder Pflanzenöl
Zitrone
Die Kalbsschnitzel mit einem Tuch trocken tupfen. Beidseitig Frischhaltefolie auflegen und behutsam dünn klopfen. Dann beidseitig salzen.
Mehl und Brösel auf einen je eigenen Teller geben. Eier in einen Teller schlagen und mit einer Gabel verquirlen.
Die Schnitzel nacheinander auf beiden Seiten in Mehl wenden, durch die verschlagenen Eier ziehen und zum Schluss in den Bröseln wenden. Die Panier, falls nötig, ein wenig mit der Rückseite einer Gabel andrücken.
Schmalz oder Öl in einer hohen Pfanne erhitzen. Die richtige Temperatur erkennt man daran, dass an einem in das Fett getauchten Stiel eines Holzkochlöffels kleine Bläschen aufsteigen.
Dann gibt man die panierten Schnitzel ins heiße Fett und lässt sie auf beiden Seiten bei mittlerer Temperatur goldbraun backen.
Die fertigen Schnitzel aus der Pfanne nehmen und das überschüssige Fett auf einer Küchenrolle abtropfen lassen.
Angeblich sollen die Schnitzel so trocken sein, dass man sich mit einer Sonntagshose darauf niederlassen kann, ohne einen Fettfleck zu riskieren. Aber wer will das schon …
Die Schnitzel anschließend mit Zitronenspalten garnieren, Beilagen zugeben und noch heiß servieren.
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Verwendete Literatur
Zedlers Universallexikon aller Wissenschaften und Künste,
Johann Heinrich Zedler, 1731 Ein new Kochbuch, Marx Rumpolt, 1581
Chronik bildschöner Backwerke, Irene Krauß, Stuttgart 1999
Franz Maier-Bruck, auf der Website: Kulinarisches Erbe Österreich
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