Das Augsburger Staatstheater

 

 

von Christian Schaller

Im Jahr 2018 war es soweit: Das Augsburger Theater wurde zum bayerischen Staatstheater erhoben. Dieser Akt war die Krönung einer jahrhundertelangen, überreichen Theatertradition in der bayerisch-schwäbischen Hauptstadt, die sich bis in das 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt.

Damals entwickelte sich die Reichsstadt Augsburg rasant zu einer wirtschaftlich florierenden Handelsmetropole. Dies zog natürlich auch die Künste an. Über die Jahrhunderte wurden an vielen verschiedenen Spielorten die neuesten Stücke präsentiert, um die anspruchsvollen Augsburgerinnen und Augsburger zu erfreuen und zu belehren, vor allem aber, um den Ruhm der Lechmetropole als Stadt der Kunst und Kultur zu mehren. Mit Fortlauf der Zeit richteten viele Patrizierfamilien, die etwas auf sich hielten, einen privaten Konzert- und Theaterraum in ihren Palästen und Häusern ein.

Die berühmten Fugger unterhielten ihren großen Saal bis in das 19. Jahrhundert hinein. Gerade in dieser Zeit wurden die Stimmen jedoch immer lauter, die endlich einen großen, öffentlichen Neubau forderten, der den Ansprüchen einer modernen Großstadt entsprechen sollte, als die Augsburg sich sah. Doch tatsächlich gab es bereits seit Langem einen Vorläufer des späteren Stadttheaters: In der Jakobervorstadt, dem traditionellen Armenviertel Augsburgs, hatte sich am Lauterlech, einem der vielen Kanäle der Altstadt, bereits 1665 ein sogenannter Komödienstadel niedergelassen.

Hier sollten ursprünglich die sogenannten Meistersinger auftreten, eine Gesellschaft, die in Augsburg bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstand. Das Gebäude befand sich in direkter Nachbarschaft der Jakobskirche und wurde 1776, am Ende der Reichsstadtzeit, durch einen Steinbau ersetzt. Im Laufe der Zeit wurden immer öfter auch Wandersänger erlaubt.

Im 19. Jahrhundert mehrten sich jedoch zunehmend die Probleme mit dem Gebäude, das zunehmend baufällig war. Die vermögende Oberschicht, durch die einsetzende Industrialisierung reich geworden, kritisierte die Lage der Bühne ohnehin seit jeher – die ärmliche Jakobervorstadt war einfach nicht repräsentativ genug und lag auch etwas zu weit abseits von den Geschäftsstraßen der Innenstadt.

Stadtschreiberei beim Leiermann – der Augsburger Stadtschreiber Christian Schaller

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgten zahlreiche Planungen für einen Neubau: Man wollte Kirchen umbauen oder abreißen, um genügend Platz zu schaffen. Sogar der Fuggerstadtpalast, so ein Vorschlag, sollte nach 400 Jahren abgetragen werden, um ein Theater direkt an der Maximilianstraße, dem altehrwürdigen Prachtboulevard und erste Adresse der Stadt, zu ermöglichen. Doch die Pläne scheiterten allesamt – nicht aufgrund ihres Irrwitzes, sondern aufgrund von Geldmangel.

In den 1870er Jahren erreichte die Diskussion dann jedoch ihren Höhe- und Wendepunkt. Reiche Bürger waren immer forscher und spendebereiter geworden, der neue Stadtbaurat Ludwig Leybold regte seit Jahren an, nun endlich tätig zu werden, und am Neujahrstag 1876 brannte zu allem Überfluss auch noch die Bürgermeisterloge im alten Theater am Lauterlech. Der Startschuss war gefallen. Idealerweise hatte wenige Jahre zuvor die Entfestigung Augsburgs begonnen. Seit dem Mittelalter hatte eine schützende Mauer die Altstadt umschlossen und ihre Entwicklung nun zunehmend behindert. Die Mauerzüge, Tore und Türme fielen und die davorliegenden Gräben wurden aufgeschüttet. Nach dem Vorbild Wiens sollten nun grüne Alleen um die Altstadt gezogen werden.

In den Arealen dahinter sollte sich die Stadt endlich erweitern können. Gerade im Westen, zwischen Altstadt und Hauptbahnhof, wurde durch Leybold ein prachtvolles Westend gebaut, in welches das wohlhabende Bürgertum in Scharen umzog. Hier war auch der ideale Standort für öffentliche Repräsentationsgebäude, so unter anderem für einen Justizpalast, für eine Stadtbibliothek und – endlich auch – für ein prächtiges neues Stadttheater. Auch hier orientierte man sich an den großen Metropolen Europas und engagierte die renommierten Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. Das Duo hatte bereits Theater in Hamburg und Wiesbaden, in Prag und Budapest sowie in Wien, der Theaterhauptstadt Europas, erbaut. Die Baumeister schöpften bei ihren Plänen Inspiration aus der Dresdner Semperoper, dem Pester Volkstheater sowie der Wiener Hofoper und erschufen einen Neorenaissance-Prachtbau für 1400 Zuschauende, der 1877 feierlich eröffnet wurde.

©ChristianSchaller

Der Bauentwurf besaß einen dreistufigen Aufbau, bestehend aus Eingangsfront, dahinter ein U-förmiger Zuschauerraum und ein durch Proszenium abgetrenntes Bühnenhaus. Die zweigeschossige Loggia wurde in die Sichtachse vom Königsplatz zur Fuggerstraße gebaut, sodass bis heute ein prachtvoller und repräsentativer Eindruck entsteht. Das Gebäude wurde in Ziegeln ausgeführt, die Loggia dagegen mit Trentiner Marmor verkleidet. Dennoch zeigt sich das Theater heute von außen nicht mehr in seiner ursprünglichen Gestaltung. Bis 1939 wurde unter den Nationalsozialisten ein umfassender Umbau vorgenommen, in dessen Projektierung sich auch Adolf Hitler persönlich einmischte.

Damals bestanden Pläne, die Gauhauptstadt Augsburg umzubauen. Das Theater sollte zu einem Herzstück der mächtigen Aufmarschallee werden. Die gigantomanischen Pläne wurden jedoch durch den Ausbruch des Krieges vereitelt. Dennoch musste das Theater bis dahin bereits seinen reichen Neorenaissance-Figurenschmuck einbüßen. Die ursprünglichen fünf Achsen der Loggia wurden auf drei reduziert. Nur fünf Jahre später wurde das Theater dann während des Zweiten Weltkrieges massiv zerstört. Der Stadtbaurat der Nachkriegszeit, Walther Schmid, ließ den Bau wiedererrichten, purifizierte ihn aber. Außenfassade und Innenausstattung zeigten fortan die Formen der 1950er Jahre. Im Jahr 2016 schloss das Theater, um grundlegend saniert zu werden.

Verwendete Literatur

 

– Gottlieb, Gunther / u.a. (Hg.): Geschichte der Stadt Augsburg. Von der Römerzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart 1984.

– Hagen, Bernt von / Wegener-Hüssen, Angelika: Stadt Augsburg. Ensembles, Baudenkmäler, archäologische Denkmäler (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Denkmäler in Bayern, Bd. VII.83). München 1994.

– Rauch, Alexandra: Aufbruch in einen neue Ära. Augsburg unter Stadtbaurat Ludwig Leybold. Augsburg 2019.

– Schülke, Yvonne (Hg.): artguide Augsburg. Kunst-, Kultur- und Stadtführer. Augsburg 2008.

 

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